11.11.2015 - 8 Flächendeckende Verteilung von Jodtabletten

Beschluss:
geändert beschlossen
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Beratung

Ratsfrau Göddenhenrich-Schirk, Fraktion Die Grüne, verweist auf den fraktionseigenen Antrag und lobt die Verwaltung für die hierzu erstellte Vorlage, die die Wichtigkeit der rechtzeitigen Einnahme von Jodtabletten im Katastrophenfall untermauere. Man habe hiermit keine Panikreaktion in der Bevölkerung verursachen, sondern lediglich einen vernünftige Vorsorge propagieren wollen. Sie bitte um Zustimmung zur Vorlage der Verwaltung.

 

Ratsfrau Dr. Wolf, SPD-Fraktion, nimmt Bezug auf die gemeinsame Entscheidung des Rates der Stadt, sich für die Abschaltung des Kernkraftwerkes in Tihange einzusetzen. Nun müsse man sich mit der Frage beschäftigen, wie mit der Verteilung von Jodtabletten umzugehen sei. Aufgrund ihrer beruflichen Erfahrungen im Personenschutz beim Umgang mit offenen radioaktiven Stoffen im Bereich der Nuklearmedizin dürfe sie berichten, dass Menschen, die täglich mit Jod 131 umgingen, sich regelmäßigen Messungen zur Feststellung der Schilddrüsendosis zu unterziehen haben. Hierbei legt Ratsfrau Wolf dezidiert Messverfahren und Werte dar. Alles in allem sei vor der Einnahme der Jodtabletten zwingend ein Arzt zu konsultieren, weil hierdurch eine Schilddrüsenkrise ausgelöst werden könne, bei bekannter Jodallergie gebe es eindeutige Kontraindikationen, während bei einer Überfunktion sogar ein Verbot der Einnahme möglich sei. Ab einem Alter von 45 Jahren werde von einer Einnahme ebenfalls gänzlich abgeraten. Atme man Radioaktivität ein und setze sich diese in der Schilddrüse nieder, löse dies nicht unmittelbar eine Krebserkrankung aus, vielmehr erhöhe sich das Risiko. Diese Erhöhung betrage allerdings lediglich 0,045 %.

Entsprechend beantrage man seitens der Mehrheitsfraktionen, den Beschlussvorschlag wie folgt zu ändern: „Der Rat der Stadt Aachen beauftragt die Verwaltung, die Landesregierung aufzufordern, die Vorgaben zur Verteilung von Kaliumiodid-Jod-Tabletten zu spezifizieren. Dabei soll der aktuelle Stand der Beratung der Strahlenschutzkommission dargestellt und eine Stellungnahme dieser erbeten werden. Weitere Berichterstattung erfolgt im Umweltausschuss.“

Auch laut einer Empfehlung der Strahlenschutzkommission von 2014 sei von den zuständigen Behörden sicherzustellen, dass Schutzstrategien für Notfallsituationen im Rahmen der Notfallvorsorge vorab entwickelt, gerechtfertigt und optimiert und im Ereignisfall zeitgerecht umgesetzt würden. Dazu sei eine angemessene Reaktion auf Basis entsprechender Gefährdungsanalysen zu planen, um die Wahrscheinlichkeit von Spätschäden zu verringern. Da dies noch behördenseitig nicht umgesetzt worden sei, könne eine Verteilung von Jodtabletten erst nach einer entsprechenden Reaktion erfolgen.

 

Der Oberbürgermeister erklärt, sich die in der letzten Ratssitzung durch die IPPNW verteilten Jodtabletten und den Beipackzettel genauer angesehen und den Hinweis zur Kenntnis genommen zu haben, dass ab einem Alter von 45 Lebensjahren von einer Einnahme abzusehen sei. Dieser Hinweis sei für die Öffentlichkeit sehr sinnvoll, weil viele hier einer Fehlinformation unterliegen würden.

 

Ratsfrau Dr. Lassay, Fraktion Die Grüne, erklärt in ihrer Funktion als Kinderonkologin, dass die  bekannten und auch von Ratsfrau Dr. Wolf angegebenen Zeiten, in denen ein Tumor entwickelt würde, bei Kindern wesentlich kürzer seien. Hierbei handele es sich schließlich um die Hauptgeneration, für die man Verantwortung trage und die es zu schützen gelte. Entsprechend sei es von hoher Wichtigkeit, dass die Bevölkerung mit Jodtabletten ausgestattet sei. Sicherlich könne sich hierbei ein Jeder von seinem Hausarzt über seine individuelle Dosis beraten lassen.

 

Wenngleich man sich im Rat der Stadt geschlossen gegen den Weiterbetrieb des Kernkraftwerkes Tihange ausgesprochen habe, seien die Einflussmöglichkeiten dennoch leider schwindend gering, so Ratsherr Baal, Vorsitzender der CDU-Fraktion, weil hierfür insbesondere die Hilfe übergeordneter Instanzen notwendig sei. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls hoch sein möge, so seien die Auswirkungen eines Unfalls katastrophal, was spätestens seit der letzten Katastrophe in Fukushima jedem in Europa bewusst sei. Vor diesem Hintergrund sei es absolut angemessen und richtig, dieses Thema in der derzeitigen Intensität zu beraten. Von gleicher Bedeutung sei das Vorhandensein einer Handlungsempfehlung für den Katastrophenfall. Bei der öffentlich ausgetragenen Diskussion um die Ausgabe von Jodtabletten bestehe allerdings das Problem, dass der Eindruck entstehe, alleine die Ausgabe von Jodtabletten könne die geeignete Schutzmaßnahme in einem Atomunfall darstellen, auch wenn dieser Effekt nicht gewollt sei. Entsprechend halte er den von den Mehrheitsfraktionen eingebrachten und eben vorgetragenen Beschlussvorschlag für den richtigen Weg. Man brauche eine Gesamtkonzeption für den Krisenfall. Alleine die Diskussion um die Ausgabe von Jodtabletten vermöge dieses Problem nicht abschließend zu erschlagen.

 

Ratsfrau Göddenhenrich-Schirk, Fraktion Die Grüne, wiederholt ihre Bitte, der Verwaltungsvorlage zu folgen. Diese sei schließlich von der städtischen Feuerwehr und damit von der für den Katastrophenschutz zuständigen Institution formuliert worden. Es gehe hier schlichtweg um den Zeitpunkt der Verteilung von Jodtabletten. Im Katastrophenfall selbst bestehe gar kein Zeitfenster mehr, um sich mit Tabletten zu versorgen, weshalb sie vorab greifbar sein sollten. In der Schweiz würden diese Tabletten regelmäßig verteilt, in Belgien zumindest im nahen Umfeld von Atomkraftwerken. Dabei erliege wohl niemand dem Irrglauben, dass mit der Einnahme von Jodtabletten die Folgen eines radioaktiven Unfalls auszumerzen seien.

 

Ratsherr Servos, Vorsitzender der SPD-Fraktion, erklärt, dass man auch innerhalb der Fraktion lange über das Thema diskutiert und zur besseren Aufklärung über Risiken und Chancen die Strahlenschutzbeauftragte der RWTH Aachen eingeladen habe. Das Thema sei eben nicht so trivial, dass es mit der Ausgabe von Jodtabletten erledigt sei, vielmehr benötige man hierzu ein entsprechend ausführliches Konzept, denn auch für die unter 45-jährigen sei nicht garantiert, dass es keine gesundheitlichen Probleme, wie Allergien, geben werde. Auch in der Verteilung selbst gebe es logistische Probleme. Ganz abgesehen davon habe eine Studie aus der Schweiz zu Tage gebracht, dass nach einiger Zeit mindestens 50 % der Befragten gar nicht mehr wüssten, wo sie ihre Tabletten deponiert haben. Alleine die Verteilung behebe also das Problem nicht. Deswegen wolle man die Landesregierung auffordern, ein spezifisches Konzept vorzulegen und hierin genau die von der Stadt konkret vor Ort durchzuführenden Maßnahmen zu benennen. Er bitte deshalb, dem weitergehenden Beschlussvorschlag zu folgen.

 

Ratsfrau Dr. Wolf, SPD-Fraktion, weist noch einmal darauf hin, dass erst ab einem bestimmten Schwellenwert ein akuter Strahlenschaden eintrete, der mit zunehmender Dosis stärker werde. Sie wolle auch noch einmal betonen, dass die Strahlenschutzkommission aus Fachleuten bestehe, die ihrerseits regelmäßig vom zuständigen Umweltministerium dazu berufen würden.

 

Ratsfrau Griepentrog, Sprecherin der Fraktion die Grüne, findet eine parteipolitische Diskussion an dieser Stelle unangebracht. Die Feuerwehr habe eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass es im Katastrophenfall keinen Sinn mache, dass ein jeder entsprechende Verteilstellen aufsuche, um dort mit Jod versorgt zu werden. Aufgrund dessen schlage man die vorherige Verteilung vor. Auch sie bitte abschließend, dem Beschlussvorschlag der Verwaltung zuzustimmen.

 

Ratsherr Deumens erklärt als Vorsitzender der Fraktion Die Linke, dass diese dem einfachen Beschlussvorschlag zustimmen werde. Auch er glaube nicht, dass auch nur Teile der Bevölkerung dem Irrglauben unterliegen, dass alleine mit Jodtabletten diese Sache beherrschbar sei. Dies gehe weder aus dem Antrag der Fraktion Die Grüne hervor, noch habe man dies bei einer der beiden Sitzungen des Bürgerforums zu diesem Thema feststellen können.

 

Ratsherr Pütz erklärt als Vorsitzender der Piratenfraktion, dass auch diese sich dem Beschlussvorschlag der Verwaltung anschließen werde. In einem Störfall sei eine saubere Kommunikation einfach nicht zu gewährleisten, weshalb das Vorhandensein der Tabletten eine sinnvolle Maßnahme sei. Weitergehende Informationen könne man der Bevölkerung über die örtlichen Radiosender zukommen lassen.

 

Ratsherr Helg erklärt als Vorsitzender der FDP-Fraktion, dass diese sich dem Beschlussvorschlag der Mehrheitsfraktionen anschließen werde.

 

Ratsherr Servos, Vorsitzender der SPD-Fraktion, stellt abschließend klar, dass man sich keinesfalls gegen die Verteilung von Jodtabletten ausspreche, sondern vielmehr ein seitens der Landesregierung erstelltes Konzept hierzu erbitte.

Er verliest noch einmal den geänderten Beschlussvorschlag, über den der Oberbürgermeister abstimmen lässt.

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Beschluss:

Der Rat der Stadt beschließt bei 23 Gegenstimmen mehrheitlich wie folgt:

Der Rat der Stadt Aachen beauftragt die Verwaltung, die Landesregierung aufzufordern, die Vorgaben zur Verteilung von Kaliumiodid-Jod-Tabletten zu spezifizieren. Dabei soll der aktuelle Stand der Beratungen der Strahlenschutzkommission dargestellt und eine Stellungnahme dieser erbeten werden. Die weitere Berichterstattung erfolgt im Umweltausschuss.

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Anlagen zur Vorlage