Kenntnisnahme - FB 61/1069/WP18
Grunddaten
- Betreff:
-
Umgang mit erfolgreichen Klagen gegen Planungsverfahren der Stadt Aachen; hier: Antrag der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Grünen zur Tagesordnung des Hauptausschusses vom 11.02.2025
- Status:
- öffentlich (Vorlage für Öffentlichkeit freigegeben)
- Vorlageart:
- Kenntnisnahme
- Federführend:
- FB 61 - Fachbereich Stadtentwicklung und Stadtplanung
- Verfasst von:
- DEZ III, FB 61/400
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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Erledigt
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Hauptausschuss
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Kenntnisnahme
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02.04.2025
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Erläuterungen
In dem Tagesordnungsantrag vom 11.02.2025 (s. Anlage) wurde die folgende Frage gestellt:
Die Verwaltung wird gebeten darzulegen, was dazu geführt hat, dass die drei wichtigen Planungsverfahren Sanierungssatzung Innenstadt, Bebauungsplan Antoniusstraße und Bebauungsplan Campus West erfolgreich beklagt und welche verallgemeinernden Gegenmaßnahmen die Verwaltung ergreifen kann, um dies in Zukunft zu verhindern.
Nachfolgend wird zusammengefasst dargestellt, welche wesentlichen Entscheidungsgründe des OVG NRW zur Unwirksamkeit der jeweiligen Bebauungspläne / Satzungen führten:
Bebauungsplan Nr.999 A - Antoniusstraße -
- Unverträglichkeit von unmittelbar benachbarter Wohn- und Bordellnutzung > Konflikt zwischen Wohn- und Prostitutionsnutzung
- Sichtkontakte vom Wohnen in die vorhandenen sogenannten Koberfenster der Prostitutionsnutzung
- Nach Außen wirkende Begleiterscheinungen der Prostitutionsnutzung > Milieubedingte Unruhe
Darüber hinaus haben die Richter in der Verhandlung mündlich Zweifel daran geäußert, ob die planungsrechtliche Festsetzung von Prostitution als einzige zulässige Nutzung (wie im SO 1 „Bordelle“ erfolgt) mit der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Grundgesetz vereinbar ist, wenn Eigentümer dadurch faktisch in ein Vertragsverhältnis mit dem „Milieu“ gezwungen werden. Diese Einschätzung aus der mündlichen Verhandlung wurde nicht Teil der schriftlichen Urteilsbegründung
Bebauungsplan Nr. 923 - Campus West -
Mit Urteil vom 05.12.2024 hat das OVG NRW den Bebauungsplan Nr. 923 - Campus West - für unwirksam erklärt.
Ausschlaggebend hierfür ist ein Fehler im Verfahren (formeller Fehler) und ein inhaltlicher Fehler (materieller Fehler).
- Die zum Satzungsbeschluss aufgenommene Zulässigkeit von Parkhäusern im SO5 hätte eine erneute Offenlage erfordert. Dieser Mangel führt laut OVG auch zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplanes (formeller Fehler).
- Die Festsetzung von Lärmkontingenten auf Flächen mit mehreren Flurstücken sei ein "beachtlicher Mangel“, sie eröffne die Möglichkeit eines sog. Windhundrennens. Das Gericht bezieht diesen Mangel auf das festgesetzte Gewerbegebiet und das Sondergebiet SO2 (materieller Fehler).
Sanierungssatzung Innenstadt
Es wurde gegen die Sanierungssatzung für den Teilbereich Altstadtquartier Büchel geklagt, die keine eigenständige Sanierungssatzung, sondern die 1. Änderung der Sanierungssatzung „Innenstadt“ ist, die im Jahr 2002 – vor 23 Jahren – beschlossen und erlassen wurde.
Begründung für die Unwirksamkeit der 1. Änderung der Sanierungssatzung „Innenstadt“ ist die Unbestimmtheit der ursprünglichen Sanierungssatzung Innenstadt wegen der Ungenauigkeit des Planes, der als Anlage Bestandteil der Satzung ist. Der Plan lasse nicht zweifelfrei erkennen, ob ein Grundstück innerhalb des Sanierungsgebietes läge oder nicht. Es fehlt die Maßstabsangabe, der Strich zur Gebietsabgrenzung sei zu breit und die Abgrenzungslinie schneidet in Teilen Flurstücke, so dass der räumliche Geltungsbereich nicht hinreichend bestimmt ist.
Ergänzend wurden gravierende Abwägungsmängel bei der Ratsentscheidung genannt, da nicht alle entscheidungsrelevanten Tatsachen bekannt gewesen seien; explizit wird eine mangelhafte Dokumentation in der Vorarbeit der externen Auftragnehmer gesehen.
Gründe / Gegenmaßnahmen
Grundlage aller Bebauungspläne (und Satzungen) ist das Bebaugesetzbuch (BauGB) und die hierauf beruhenden Verordnungen, insbesondere die Baunutzungsverordnung (BauNVO). Bei der Aufstellung von Bebauungsplänen sind die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben sowohl hinsichtlich der Verfahren als auch in Bezug auf die zu regelnden Inhalte bzw. Festsetzungen strikt zu beachten. Insgesamt sind die Anforderungen des Gesetzgebers und der Rechtsprechung an Planungen, den formalen Vorgaben und insbesondere an die sachgerechte Abwägung aller maßgeblichen Belange, im Laufe der Zeit enorm gestiegen.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Komplexität der Planungsverfahren gerade in den in Bezug genommenen Fällen weit überdurchschnittlich ist. Verglichen mit den Festsetzungen eines Bebauungsplans, der ein Neubaugebiet auf der „grünen Wiese“ darstellt oder einer maßvollen Steuerung der Nachverdichtung dient, sind die in den genannten Verfahren zu bewältigenden Problemlagen hochkomplex und die Anforderungen an die sachgerechte Abwägung dementsprechend hoch. Hier sind im Bereich Büchel die Nutzungskonflikte zwischen massiv konfligierenden Nutzungen zu regeln, deren Nebeneinander im Bestand nach Auffassung des OVG einen massiven städtebaulichen Missstand darstellt. Im Bereich Campus West sind ganz konkret die Anforderungen an die Bewältigung des Konfliktes im Bereich des Schallimmissionsschutzes bei unterschiedlichen beriets vorhandenen Schallimmissionen (Gewerbe, Verkehr, Freizeitlärm, Schießlärm) und die hinzukommenden Schallimmissionen durch die im Plangebiet entstehenden Nutzungen sachgerecht zu bewältigen.
Um abgestimmte, möglichst rechtssichere Lösungen zu erarbeiten, werden die jeweiligen Fachverwaltungen eingebunden, meist auch erfahrene Gutachter*innen und in besonderen Fällen eine juristische Beratung. Externe rechtliche Beratung ist in den drei vorhandenen Verfahren ebenfalls in Anspruch genommen worden – im Bereich Büchel war die Durchführung der Vorbereitenden Untersuchungen extern vergeben und eine begleitende Rechtsberatung durch eine Kanzlei ebenfalls extern vergeben. Im Bereich Campus West ist die Planerstellung seitens der Vorhabenträgerin durch eine externe rechtliche Beratung begleitet worden. In beiden Fällen hat die Begleitung durch versierte Fachanwälte den Ausgang der gerichtlichen Verfahren nicht verhindern können.
Wird – wie im Fall Campus West – in einem Urteil eine anerkannte Methode zur Steuerung der Lärmentwicklung (Lärmkontingentierung) als fehlerhaft eingestuft, ist dies nicht vorhersehbar. Dies trifft auch auf die Entscheidung zur Antoniusstraße zu, nach der die im Bestand vorhandene Nachbarschaft von Wohnen und Prostitution zu einem unauflösbaren und im Nebeneinander der Nutzungen nicht zu bewältigenden schweren städtebaulichen Missstand führt.
Hinweise und Entscheidungen der Gerichte werden bei ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB zur Begebung von Fehlern („Heilungsverfahren“) und natürlich auch bei laufenden und künftigen Verfahren berücksichtigt. Eine Garantie für ein rechtssicheres Verfahren kann jedoch schlechterdings nicht ausgesprochen werden. Zum einen verändern sich die Planungsverfahren und deren Inhalte hin zu einer gesteigerten Komplexität, zum anderen entwickelt sich auch die Rechtsprechung fort.
Die der in Bezug genommenen Planverfahren belegen darüber hinaus, dass die von der Rechtsprechung – konkret dem OVG NRW – erhobenen Anforderungen teilweise die über bekannten Rechtssätze aus der obergerichtlichen und höchstgerichtlichen Rechtsprechung hinausgehen bzw. diese noch erweitern.
Zitiert sei in diesem Zusammenhang eine sehr aktuelle Untersuchung des vhw zur Novelle des Baugesetzbuchs, der auch zu entnehmen ist, dass die Problemlage eine deutschlandweite ist: „Korrekturbedürftig im Städtebaurecht ist insbesondere eine lähmende und ressourcenzehrende Aufwands- und Komplexitätssteigerung, die sich in den letzten Jahrzehnten schrittweise aus der Potenzierung von zwei grundlegenden Trends ergeben hat:
(1) Das Bauen ist kleinteiliger geworden, weil es sich nach der Abkehr von der Außenentwicklung und der abgeschlossenen Verwertung der meisten großen Brach- bzw. Konversionsflächen zunehmend im kleinen Maßstab in der Innenentwicklung vollzieht. (2) Die Zahl der an städtebauliche Vorhaben herangetragenen öffentlichen Interessen und damit verbundener Prüfungs- und Regelungsbedarfe ist kontinuierlich gewachsen.“ (https://www.vhw.de/fileadmin/user_upload/08_publikationen/vhw_Debatte/vhw_debatte_07_Diskussionspapier_BauGB-Novelle.pdf)
Das Bundesinstitut für Bauwesen und Raumordnung führt ferner aus: „In der derzeitigen Alltagspraxis gibt es dabei einige Umsetzungsprobleme und Zeitverzögerungen. Die Regulierungsdichte mit zahlreichen Vorschriften und Normen, komplizierte Abstimmungsnotwendigkeiten, unzureichende Schnittstellengestaltungen und weitere Faktoren kosten viel Zeit und verzögern Prozesse der Stadtentwicklung teils erheblich. Angesichts dieser Probleme in der städtebaulichen Handlungsfähigkeit ist es erforderlich, zu überprüfen, wie wirksam das Instrumentarium angesichts gewandelter Handlungslogiken und Rollenverständnisse ist.“
(https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/forschung/programme/refo/staedtebau/2023/planung-multiple-herausforderungen/01-start.html)
Diese gestiegene Komplexität wirkt sich nicht nur auf die Dauer der Erstellung und den Aufwand, sondern auch auf die Rechtssicherheit von Bebauungsplänen aus. Im Bau- und Verkehrsausschuss des Deutschen Städtetag – in dem die Stadt Aachen Mitglied ist – wird regelmäßig berichtet, dass alle Großstädte – insbesondere wegen der Herausforderungen, die die Innenentwicklung mit sich bringt - Schwierigkeiten haben, Bebauungspläne unbeklagt – oder wenn beklagt, dann erfolgreich zur Rechtskraft zu bringen.
Der Aufwand, der sich aus den daraus resultierenden Prozessen im Fachbereich 61 / Abteilung Stadtplanung sowie Abteilung Stadterneuerung und im Fachbereich 60, aber auch im Fachbereich 30 ergibt, ist immens. Da sich nicht abzeichnet, dass der Gesetzgeber das BauGB und die BauNVO sowie die den ebenfalls zu beachtenden Gesetzes- und Normenrahmen systematisch verschlankt und zugleich die Aufgaben- und Vorhabendichte steigt, ist es in jedem Fall geboten, die rechtliche Begleitung auch für die Zukunft in hoher Qualität zu sichern.
Anlagen
Nr. | Name | Original | Status | Größe | |
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(wie Dokument)
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