Entscheidungsvorlage - FB 61/0961/WP15
Grunddaten
- Betreff:
-
Strategische Leitlinien der gesamtstädtischen Verkehrsentwicklung in den nächsten 15 JahrenGemeinsamer Ratsantrag der Fraktionen SPD und Grüne vom 23.09.2008
- Status:
- öffentlich (Vorlage abgeschlossen)
- Vorlageart:
- Entscheidungsvorlage
- Federführend:
- FB 61 - Fachbereich Stadtentwicklung und Stadtplanung
- Verfasst von:
- FB 61/30
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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●
Erledigt
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Mobilitätsausschuss
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Entscheidung
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29.01.2009
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12.03.2009
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Beschlussvorschlag
Beschlussvorschlag:
Der Verkehrsausschuss nimmt den Bericht der Verwaltung zur Kenntnis und beschließt die Erarbeitung einer „Strategie Verkehr“ als prozess- und dialogorientierte Verkehrsentwicklungsplanung wie in der Vorlage der Verwaltung beschrieben. Der Verkehrsausschuss beauftragt die Verwaltung die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen und mit der Beauftragung schnellstmöglich zu beginnen.
Erläuterungen
Erläuterungen:
Mit Datum vom 23.09.2008 beantragen die Fraktionen von SPD und Grüne im Rat der Stadt Aachen die Verwaltung zu beauftragen, Vorschläge für die Entwicklung einer Rahmenkonzeption für die verkehrliche Entwicklung zu erarbeiten. Diese soll mindestens auf einen Planungshorizont von 15 Jahren ausgelegt sein und auch die verkehrlichen Entwicklungen jenseits der Stadtgrenzen betrachten. Bestehende Planungen sollen berücksichtigt, die Öffentlichkeit intensiv beteiligt werden.
Begründet wird der Antrag mit den vorliegenden sektoralen Einzelkonzepten und den aktuellen umweltpolitischen Aufgabenstellungen, die in einer verkehrlichen Gesamtbetrachtung zusammengeführt werden sollen. Wegen der besonderen Bedeutung, die das Thema Verkehr in der öffentlichen Diskussion genießt, sollen die vielfältigen Meinungen und Interessen berücksichtigt und in den Erarbeitungsprozess einbezogen werden.
Ausgangssituation:
Aktuell liegt keine politisch beschlossene verkehrliche Rahmenplanung vor. Die letztmalige Erarbeitung einer Verkehrsentwicklungsplanung stammt aus den Jahren 1991-95 und wurde nie als Gesamtwerk beschlossen; der Masterplan Mobilität 2000 aus dem Jahr 2000 war in seinem Zuschnitt zu sektoral begrenzt und ist mit den Arbeiten zu einem Verkehrslagebericht zu einem Ende geführt.
Angesichts der in der Vergangenheit geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie der gesellschaftlichen Veränderungen insgesamt aber auch der speziellen Aachener Entwicklungsdynamik scheint die Erarbeitung einer übergeordneten Strategie zur verkehrlichen Entwicklung der nächsten 15 bis 20 Jahre zur Steuerung der städtischen Investitionen notwendig.
Im Folgenden werden die einzelnen aktuellen Anforderungen, mit denen sich eine „Strategie Verkehr“ auseinandersetzen muss, skizziert.
Trends und Entwicklungen
Gesetzliche Rahmenbedingungen
1. Mit der EU-Luftqualitätsrichtlinie wurden verbindliche sich degressiv entwickelnde Grenzwerte für Feinstaub und NOx-Belastungen formuliert, die zur Erarbeitung eines Luftreinhalteplans geführt haben. Der motorisierte Verkehr steht als ein wesentlicher Verursacher im Focus der Betrachtung. Das erarbeitete Massnahmenpaket muss in ein verkehrliches Gesamtkonzept integriert werden.
2. Gleiches trifft auf die aktuell in Kraft getretene Lärmschutzrichtlinie zu. Auch hier ist der motorisierte Verkehr als Hauptemittent bekannt, sind Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes in ein gesamtes Verkehrskonzept zu integrieren.
3. Gleichzeitig werden Finanztransferleistungen von Bund und Land reduziert. ÖPNV-Zuwendungen werden schrittweise zurückgefahren, Fördermittel für den kommunalen Straßenbau auf niedrigere Zuwendungshöchstsätze begrenzt, Bagatellgrenzen wesentlich erhöht. Mit der Befristung des Entflechtungsgesetzes NRW, dass infolge des ehemaligen GVFG die Mittelverteilung für den kommunalen Straßenbau regelt, steht die zukünftige Finanzierung der Infrastruktur in Frage.
Gesellschaftliche Veränderungen
4. Die Nachfragesituation nach Mobilität unterliegt einem fortlaufenden Veränderungsprozess. Seit Jahren ist die steigende Bedeutung des Freizeitverkehrs bekannt, die aus der immer längeren Lebensdauer und kürzeren Arbeitsbiographien resultiert. Verstärkt wird dies durch die aktuelle Diskussion um den demographischen Wandel in Deutschland, mit einem rapiden Wachstum der älteren Jahrgänge. Verschiedene Mobilitätstrends werden für diese ältere Gruppe in der Fachdiskussion zur Zeit prognostiziert.
- IV-Nutzung nimmt zu (zunehmender Führerscheinbesitz und Kfz-Verfügbarkeit)
- ÖV-Nutzung nimmt zu (Zuzug in die Städte, Nutzung der kurzen Wege, Stärkung der Innenstädte)
- Aufgabe der IV-Nutzung (gestiegene Kosten des IV, sinkende Alterseinkommen)
- Rad-/Fußnutzung steigt (zunehmender Anteil der Freizeitverkehre, Gesundheit, kurze Wege)
5. Mit dem demographischen Wandel geht ein Wettbewerb der Regionen um die jüngeren Bevölkerungsschichten einher, um dem vielerorts prognostizierten Schrumpfen zu begegnen. Zielgruppe sind insbesondere junge Familien mit Kinderwunsch bzw. Kinderreichtum. Das Angebot an öffentlicher Infrastruktur – und damit auch an Verkehrsinfrastruktur (Stichwort Schulverkehre) - wird die Entscheidungsfindung beeinflussen.
6. Die Entwicklung der Energiekosten bestimmt zunehmend das Inflationswachstum. Die Kosten der individuellen Mobilität steigen rapid. Die Verkehrsmittelwahl wird damit auch stärker finanziell entschieden.
7. Die Erhöhung der Verkehrssicherheit ist sowohl gesamtgesellschaftlich als auch vor Ort in Aachen ein wesentliches Thema der Gestaltung der Verkehrsinfrastruktur. Speziell bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Radfahrern hat die Entwicklung der vergangenen Jahre nicht den gewünschten Verlauf genommen und sind die Unfall- und Verletztenraten zum Teil gestiegen.
Lokale Entwicklungsdynamik
8. Wider den Trend kann sich Aachen als (zumindest Bevölkerungs-) Wachstumspol in der Fachdebatte behaupten. In Untersuchungen der BBR, der Bertelsmann-Stiftung sowie zusammengefasst in einer Studie des deutschen Städtetags wird die Wachstumsdynamik in den kommenden 15 Jahren als sehr hoch eingeschätzt. Die Bevölkerungsprognose zählt zu den höchsten deutscher Großstädte.
9. Besondere Bedeutung kommt der Attraktivität der Stadt als Hochschulstadt zu. Die beabsichtigten Entwicklungen der RWTH in den verschiedenen Campusgebieten wie z.B. Aachen-Melaten und Aachen-West aber auch Aachen-Hörn und dem zentral Campus in der Innenstadt bedeuten nicht nur einen großen Invest sondern auch zusätzliche Arbeitsplätze und damit neue gesamtstädtisch bedeutsame Verkehrsverflechtungen.
10. Erkennbar ist die Bedeutung als Einkaufsstandort gewachsen. Die Einzelhandelsverkaufsfläche wird durch die Aktivitäten verschiedener Investoren weiter zunehmen. Dies stärkt besonders den Innenstadtbereich, dessen attraktive Gestaltung und verkehrliche Erreichbarkeit gesichert werden muss.
11. Stadt und Region werden in den nächsten Jahren in der Städteregion deutlicher zusammen wachsen. In Fragen der Verkehrsinfrastruktur müssen regionale Gesamtinteressen als Konsens von Oberzentrum und Umland formuliert werden. Ein gemeinsames Mobilitätsleitbild muss entwickelt, der Umfang gemeinsam benötigter Verkehrsinfrastruktur festgestellt und damit eine gemeinsame Positionierung im Wettstreit um die geringen öffentlichen Finanzen wahrgenommen werden.
12. Die Bedeutung der Aachen umgebenden Grenzen nimmt weiter ab. Dies betrifft alle Funktionen des öffentlichen Lebens: Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Freizeitverhalten schafft grenzüber-schreitende Verkehrsbedürfnisse, die sich bereits in umfangreichen gemeinsamen Arbeiten (z.B. Buitenring Parkstad Limburg, ÖV-Anbindung AVANTIS, Grenzroutenticket AC-Vaals…) niederschlägt. Die Frage ist insbesondere, wie es hier gelingen kann, den Beitrag des ÖV an der Befriedigung dieser Bedürfnisse zu steigern.
Fazit
Es besteht der Bedarf nach einer städtischen Rahmenkonzeption für den Verkehr, die mittel- und langfristige Strategien zur Verkehrsgestaltung unter Einbeziehung der angrenzenden Region beinhaltet.
Vorgehensweise
Die Ansätze der früheren VEP’s „verkehrsmittelübergreifend zu denken, Verkehr durch eine Ziel- und Szenariendiskussion steuern zu wollen und eine kommunikationsorientierte Prozeßgestaltung zu organisieren“ (Frehn 2007) sind nach wie vor richtig. Allerdings ist zu hinterfragen, ob die kommende Strategie nicht wesentlich umsetzungsorientierter aufgebaut sein muss. Eine Konzentration der finanziellen und personellen Ressourcen auf einzelne ausgewählte Handlungsfelder scheint angesichts der Rahmenbedingungen unausweichlich; dabei darf der gesamte verkehrliche Wirkungszusammenhang nicht aus den Augen verloren werden.
Wesentlich ist, die Dauerhaftigkeit der Aufgabe zu begreifen; daraus resultiert, den neuen Plan als Prozeß zu begreifen. Damit gewinnt auch eine kontinuierliche Kontrolle der Zielerreichung und damit ein begleitendes, effektives Monitoring an Bedeutung.
Aachen steht in dieser Fragestellung nicht alleine. Eine vom Deutschen Städtetag unterstützte Umfrage, an der sich 53 Großstädte beteiligten, zeigt, dass
- sich eine Vielzahl von Kommunen in der Planerarbeitung befindet bzw. diese startet,
- eine integrierte Verkehrentwicklungsplanung Standard ist,
- der VEP als Daueraufgabe und prozessorientiertes Planwerk betrachtet wird,
- eine kontinuierlichere und aktuellere Datenbasis sinnvoll ist,
- die letztlich auch zu einer besseren Evaluierung umgesetzter Maßnahmen führt.
Die Verwaltung schlägt deshalb eine pragmatische Vorgehensweise vor, in der weniger verschiedene Szenarien modelliert werden sondern mehr Wert auf die Diskussion verschiedenster konkreter Ziele und die Erarbeitung tragfähiger Maßnahmen gelegt wird.
Dabei sollen die bereits erarbeiteten sektoralen Fachplanungen, wie z.B.
- der Nahverkehrsplan für den ÖPNV,
- der Maßnahmenplan Radverkehr,
- das Verkehrsmanagementkonzept,
- das Konzept der Ortseingangssituationen
aufgegriffen und in einer integralen Betrachtung mit weiteren verkehrlichen Maßnahmekonzepten zusammengefasst werden.
Das bestehende Verkehrsmodell der Stadt Aachen ist in der Erarbeitung einer „Strategie Verkehr“ zu berücksichtigen. Die in der Vergangenheit durchgeführte kontinuierliche Pflege des Modells ermöglicht es, auf diesen Projektbaustein in der Beauftragung zu verzichten. Lediglich die Einbindung der umgebenden Region ist hinsichtlich der Strukturdaten zu überarbeiten. Damit kann der finanzielle Umfang einer Beauftragung deutlich begrenzt werden.
Projektorganisation
An der Erarbeitung einer „Strategie Verkehr“ sollten verschiedenste Akteure beteiligt werden. Um der Bedeutung des öffentlichen Dialogs Rechnung zu tragen schlägt die Verwaltung vor, neben der Beauftragung eines Verkehrsgutachters auch den Kommunikationsprozeß durch einen externen Auftragnehmer moderieren zu lassen. Im Einzelnen werden folgende Beteiligte gesehen:
a. Verwaltung
Die Fachverwaltung trägt und bestimmt den Prozeßablauf. Federführend ist die Abtlg. 61/30 tätig. Zur Berücksichtigung aller Verwaltungsinteressen ist die Einrichtung einer Verwaltungsarbeitsgruppe unter Beteiligung weiterer Dienststellen sinnvoll.
b. Politik
Die politischen Vertreter sind durch den Fachausschuss und die Bezirksvertretungen in den Prozess eingebunden. Eine Lenkungsgruppe mit Beteiligten aller im Rat der Stadt aktiven Parteien sollte den Entscheidungsprozeß vorbereiten.
c. Interessengruppen und –verbände
Um möglichst vielen Interessen gerecht zu werden ist die Einrichtung eines prozessbegleitenden Diskussionsforum sinnvoll. Einem „Forum Verkehr“ könnten Vertreter der Wirtschaft (IHK, EHV, Initiative Aachen), der im Bereich Verkehr tätigen Institutionen und Verbände (AVV, ASEAG, ADFC, ADAC, VCD) sowie sozialer und weiterer Interessenvertreter (Behindertenverbände, AWO, Bürgerinitiativen) angehören.
d. Bürger
Eine umfängliche Beteiligung vor Ort ist zu verschiedenen Projektphasen anzustreben. Dies kann durch Bürgerinformationsveranstaltungen als auch durch Bürgerforen geschehen, in denen eine weitergehende Mitarbeit der Bürger angedacht ist.
e. Gutachter
Der/die Verkehrsgutachter sorgen in Zusammenarbeit mit der Verwaltung für den inhaltlichen Input. Der Umfang variiert stark in Abhängigkeit zur Art und Weise der Planerarbeitung.
f. Moderator
Der Moderator steuert den Informationsaustausch und deren Vermittlung zu den verschiedenen Gesprächsrunden.
Bereits in der Auftragsvergabe sollten die anbietenden Büros (ggfs. als AG) den Ablauf des Dialogprozesses darstellen.
Zeitplan und Kosten
Der Zeitaufwand ist abhängig von der Detailtiefe. Erfahrungen aus anderen Städten zeigen, dass für die Erarbeitung eines grundlegenden Planwerkes mit einer Bearbeitungsdauer zwischen 2 und 5 Jahren zu rechnen ist. Wie einleitend erwähnt, sollte eine „Strategie Verkehr“ damit nicht aufhören, sondern als kontinuierlicher Prozess weiter geführt werden. Im Dortmunder „Masterplan Mobilität“ werden beispielsweise alljährlich neue Schwerpunktthemen behandelt, so z.B. Betriebliches Mobilitätsmanagement (2005), Radverkehr (2006), Ruhender Verkehr (2007), Wirtschaftsverkehr (2008) und Verkehrssicherheit in 2009.
Die bisher zur Verfügung stehenden Mittel reichen für eine Beauftragung nicht aus. In 2008 wurden für diie Verkehrsentwicklungsplanung 50.000 € im Hauushalt eingeplant. Der finanzielle Umfang der Beauftragung von VEP’s ist unbegrenzt. Die Verwaltung geht jedoch davon aus, dass mit einem Betrag von 200.000 € eine Durchführung der Arbeiten möglich ist.
Auch innerhalb der Verwaltung sind für eine aufgabengerechte Bearbeitung die Voraussetzungen zu schaffen. Mit den bestehenden Kapazitäten ist der entstehende Aufwand nicht zu bewältigen, für die Dauer der Erarbeitung wird eine zusätzliche Personalstelle in der Abteilung für notwendig erachtet.