Entscheidungsvorlage - Dez. I/0005/WP15

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag

Beschlussvorschlag:

  1. Der Rat der Stadt nimmt dem Grunde nach die Entzerrung und Verlagerung der Drogenszene und ihrer Begleiterscheinungen am Kaiserplatz sowie der näheren Umgebung bis spätestens Mitte 2011 zu Kenntnis. Der bis dahin laufende Zeitraum soll als Erprobung gelten, um ggf. Maßnahmen zu ergreifen, die sich als notwendig erweisen.
  2. Die Hilfseinrichtungen werden bis zum Ende der Erprobungsphase am Kaiserplatz weiter betrieben.
  3. Das „Dortmunder Modell“ des Umgangs mit Szenebildungen soll in Aachen ab sofort in Absprache mit dem Polizeipräsidenten Aachen angewendet werden.
  4. Der Drogenkonsumraum soll spätestens bis Mitte 2011 geschlossen werden.
  5. Das Gesundheitsamt (ab dem 21.Oktober 2009 Städteregion) wird beauftragt, innerhalb des genannten Erprobungszeitraums nach einer geeigneten räumlichen Unterbringung der drogentherapeutischen Ambulanz (DTA) zu suchen.
  6. Der vorliegende Ratsantrag 383/15 auf Einbeziehung der Städteregion und Gesamtkonzeptionierung der Drogentherapie und Drogenprävention soll in Form von Gesprächsrunden mit Fachleuten, Politikern und der zuständigen Fachverwaltung aufgearbeitet werden.
  7. Bezüglich des Vorgehens am Kaiserplatz soll eine offene Kommunikation mit allen Beteiligten, insbesondere der Suchthilfe erfolgen. Die einzelnen Schritte der Kommunikation werden zu Beginn der Erprobungsphase festgelegt und im Sozial-und Gesundheitsausschuss vorgestellt.
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Erläuterungen

Erläuterungen:

Die "Szene" am Kaiserplatz hat in den vergangenen Jahren stets, in den letzten 12 Monaten verstärkt, zu Beschwerden aus der umliegenden Wohnbevölkerung und Geschäftswelt geführt. Beklagt wird u.a. der Handel mit Drogen, Beschaffungskriminalität, Verkotung von Hausein­gängen, Belästigungen und Bedrohung bis hin zu körperlichen Übergriffen.

 

Zudem haben mit Schreiben vom 27.Mai 2009 die Fraktionen SPD und GRÜNE den Ratsantrag “Städteregionale Suchthilfekonzeption” gestellt (siehe Anlage).

 

 

Die Fachverwaltung ist der Auffassung, dass sich mit den verschiedensten Maßnahmen seit Jahren die offene Szene am Kaiserplatz nicht verändert hat. Im Gegenteil: Es sind Begleiterscheinungen hinzu gekommen, die - wie die Prostitution oder die Beschaffungskriminalität - in erheblicher Weise die gesamte Umgebung des Kaiserplatzes ständig beeinflussen.

Ob im Bereich des Rehm-Viertels oder zwischen Richardstraße und Adalbertsberg, ob im Umfeld der Synagoge oder bis hin zum Steffensplatz - sind die Auswirkungen der Szene auf Anwohner, Anlieger und insbesondere auch die in diesem Umfeld tätigen Händler und Freiberufler ständiger Alltag.

Es ist eine Überlast entstanden.

 

Ausgehend von den Überlegungen, Spielräume für Veränderungen auszuloten, hat die Verwaltung in der Zwischenzeit eine intensive interne Diskussion und verschiedene Sondierungsgespräche mit externen Partnern geführt, insbesondere der Polizei. Mit  der Suchthilfe wurde ebenfalls schon informationshalber gesprochen.

 

Die Szene ist polizeirechtlich und ordnungsrechtlich zu beeinflussen. Die gemeinsame Wache von Polizei und Ordnungsamt am Kaiserplatz hat allerdings bislang nur Überwachungsaufgaben wahrgenommen.

Die Fachverwaltung ist der Auffassung, die Szene am Kaiserplatz entzerren und verlagern zu sollen.

 

 

 

Status quo am Kaiserplatz

 

In den Häusern Kaiserplatz Nr. 22 und 21 befindet sich seit 2005 die gemeinsame Wache von Polizei und Ordnungsamt.

 

Im Haus Kaiserplatz Nr. 20 ist ein Lagerraum. Gegenüber diesem Lagerraum befindet sich ein weiterer Raum, der der Therapie dient, zurzeit ein Kunsthandwerkprojekt der Suchthilfe Aachen.

 

Im Haus Kaiserplatz Nr. 19 befindet sich ein einzelner Raum mit einer Toilette, genutzt als Büro für die Street­worker, die bei der Stadt Aachen angestellt sind, aber der Suchthilfe Aachen zugewiesen.

 

Im Haus Kaiserplatz Nr. 18 befindet sich die drogentherapeutische Ambulanz              (DTA=Allgemeinarztpraxis)mit integriertem Drogenkonsumraum (DKR)

 

Die drogentherapeutische Ambulanz (DTA) mit der Funktion einer kleinen allgemeinmedizinischen Praxis wurde im Jahr 1999 als Modellprojekt eingerichtet. Sie verfügt über einen sehr kleinen Behandlungsraum,  in dem die Klientel des Kaiserplatzes ärztliche Hilfe findet. Wenn sich bei der Aufnahme der Personalien und der Erhebung der Vorgeschichte  herausstellt, dass es eine Verbindung zu einem niedergelassenen Arzt gibt, wird der/die Betreffende dorthin weiter vermittelt.

Im Jahr 2008 wurden in der DTA 200 Personen mit 326 Behandlungen betreut. Mit einer Behandlung ist die Zeitspanne der jeweiligen medizinischen Betreuung gemeint (1 Tag bis hin zu einem kompletten Jahr). Die DTA war an 244 Tagen entsprechend 854 std geöffnet. In diesem Zeitraum sind 1294 Leistungen erbracht worden (Aufteilung s. u.).

 

Leistungen der DTA

Anzahl

pro Tag

pro std

Untersuchung/med. Beratung/Gespräch

282

 

 

Medizinische Behandlung

889

 

 

Nachbehandlung nach chirurgischem Eingriff

29

 

 

Kurzvermittlung in andere ärztl. Hilfe/Krankenhaus/andere Hilfen

94

 

 

Gesamt

1294

5,3

1,5

Leistungen im Rahmen des Fallmanagements sind hier nicht mitgezählt worden (z. B. Erstellen von Bescheinigungen, fallbezogene Kooperationsabsprachen, Dokumentation etc.).

 

In der drogentherapeutischen Ambulanz wird jeder behandelt, der der ärztlichen Hilfe be­darf,  auch wenn er nicht Bürger der Stadt Aachen ist.

 

Ebenfalls im Haus Kaiserplatz Nr. 18 wird seit 2001 der Drogenkonsumraum (DKR) betrieben (von der Straße aus gesehen rechts neben der DTA).

Ziele des Drogenkonsumraums sind folgende:

- Überleben sichern

- Gesundheitsrisiken mindern

- Therapiebereitschaft fördern.

Der Drogenkonsumraum hat vier “Konsum-Plätze”, es können also maximal 4 Klienten gleichzeitig den Konsumraum nutzen. Entgegen früherer Berechnungen wird dafür eine Zeit von bis zu 30 min benötigt, so dass pro Öffnungsstunde eine Kapazität von mindestens 8 Konsumvorgängen besteht.

Der DKR war 2008 an 244 Tagen insgesamt 854 std geöffnet. Von insgesamt 123 Personen wurden im Jahr 2133 Konsumvorgänge mit Injektionsnadel vorgenommen entsprechend 8,7 pro Tag oder 2,5 pro std. Daraus ergibt sich, dass selbst dieser Personenkreis nur ca. 17 Konsumvorgänge mit Injektionsnadel pro Jahr vornimmt. Das entspricht geschätzt 1,5% der Konsumvorgänge dieser 123 Personen. Neben diesen Konsumvorgängen mit Spritze und Nadel gab es 1398 Konsumvorgänge in Form von Inhalationen (also ohne Spritzen und Kanülen).

Eine Nutzung ist nur Bürgern der Stadt Aachen mit Ausweis erlaubt; es sind gleichzeitig nur maximal 80 Ausweise gültig.

Rechts neben dem Drogenkonsumraum befindet sich das Büro der Leiterin der Hilfseinrichtungen am Kaiserplatz.

 

Im Haus Kaiserplatz Nr. 15 befindet sich seit 1991 das Kontakt-Café Relax. Schon 1996 gab es Besucherzahlen von durchschnittlich 62 pro Tag.

Die aktuellen Öffnungszeiten sind nachstehend aufgeführt.

    

Öffnungszeiten:

Mo, Di + Fr 11:00 Uhr - 16:00 Uhr

Mi.       11:00 Uhr - 17:00 Uhr

11:00 - 12:30 Sprechzeit der Sozialarbeiter

Do        11:00 Uhr - 17:00 Uhr

Sa        11:00 Uhr - 14:30 Uhr

Im Jahr 2008 wurden im Kontakt-Café 476 verschiedene Personen betreut. 421 dieser Personen stammten aus der Stadt Aachen (s. Tabelle unten).

 

Wohnort

Anzahl

Aachen

421

Stolberg

17

Alsdorf

11

Eschweiler

7

Herzogenrath

6

Würselen

6

Köln

4

Aldenhoven

1

Roetgen

1

keine Angabe

2

Gesamt

476

 

Die durchschnittliche tägliche Besucherzahl im Kontakt-Café schwankt zwischen 40 und 85 Besuchern. Meist sind dies täglich 50-65 Personen, die teilweise mehrmals am Tag kommen, um zu essen, Spritzen zu tauschen,  zu telefonierenund/oder einen Sozialarbeiter zu sprechen.

Es werden in der Woche ca. 7 Maschinen Wäsche gewaschen. Die Dusche bzw. das Waschbecken werden 1 - 7-mal täglich zur Körperhygiene genutzt. Aktuell werden täglich ca. 40 Essen verkauft, davon ca. 15 warme Essen, daneben ca. 25 Snacks und ähnliches. Die abgegebenen Getränke und Speisen müssen bezahlt werden.

 

Im Cafe Relax bzw. dem angrenzenden Büro haben die betroffenen Menschen die Gelegenheit, über ein kostenloses Telefon z.B. Arztbesuche zu koordinieren,  Wohnungen zu suchen oder alle sonstigen Dinge zu regeln, die mit ihrer persönlichen Situation zusammenhängen außer reinen Privatgesprächen. Wenn sie dabei der Hilfe bedürfen, stehen ihnen die Sozialarbeiter der Suchthilfe Aachen zur Verfügung.

 

Das Café Relax steht Bewohnerinnen und Bewohnern von Stadt und Kreis Aachen zur Verfügung, Voraussetzung ist, dass eine Drogenabhängigkeit von harten Drogen besteht. Im Café Relax besteht auch die Möglichkeit Spritzen zu tauschen. Es besteht ebenfalls die Möglichkeit ein Schließfach zu benutzen und diese Adresse als postlagernde Adresse anzugeben.

 

Eine Konzentration von therapeutischen Wohngemeinschaften rund um den Kaiserplatz hat ebenfalls zu einer Konzentration des Drogenproblems in diesem Bereich geführt. Insoweit steht die Fachverwaltung mit dem Landschaftsverband Rheinland in Verbindung, auch hier um eine räumliche bzw. stadtviertelmäßige Entzerrung bemüht zu sein.

 

 

 

 

Bewertung durch die Fachverwaltung

 

Die Drogenszene am Kaiserplatz setzt sich zu einem wesentlichen Teil aus Menschen zusammen, welche die Hilfseinrichtungen nicht nutzen. Ihr primäres Motiv, aus denen heraus sie den Bereich Kaiserplatz aufsuchen, ist der Kontakt zu (anderen) Drogenabhängigen und die Beschaffung bzw. der Konsum von Suchtmitteln.

Aus fachlicher Sicht kann festgestellt werden, dass die am Kaiserplatz vorhandenen Einrichtungen nicht die Ursache für die Bildung der  Drogenszene sind, sie auch nicht lösen, sondern allenfalls abmildern können, dass auch bei einer Verlagerung bzw. Entzerrung der Hilfseinrichtungen nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich die Aachener  Drogenszene zwangsläufig quantitativ  oder qualitativ reduziert oder sogar auflöst, sondern die Überlast beseitigt.

 

Feststellbar ist, dass nach statistischen Erhebungen die Inanspruchnahme der Hilfseinrichtungen am Kaiserplatz zum Teil rückläufig ist.

 

Die soziale Kontrolle des Geschehens hat sich trotz Verbesserung der Einsehbarkeit des Umfeldes nicht verbessert.

 

Aus der Sicht des Trägerverbundes der Suchthilfe, bestehend aus Caritas und Diakonie sowie des sozial-psychiatrischen Dienstes, sollte man die bisherige Konstruktion der Hilfseinrichtungen nicht in Frage stellen, denn ein zentrales Problem des Kaiserplatzes seien nicht die Hilfseinrichtungen, sondern die offene Szene.

 

Man ist dort der Auffassung, dass die Arbeit der Hilfseinrichtungen verbessert werden könne, wenn es die offene Szene vor der Haustür nicht  mehr gäbe.

 

Die Verwaltung hält nach Absprache mit den fachlichen Stellen in unserer Stadt die Auflösung des Drogenkonsumraums für vertretbar.

 

Die Fachverwaltung ist des Weiteren der Auffassung, dass eine ambulante Drogentherapie auch künftig angeboten werden soll und will deshalb innerhalb der Erprobungsphase ein solches Raumangebot schaffen. Hierzu ergeben sich mehrere Möglichkeiten, die jedoch erst nach Evaluation benannt werden sollten.

 

Schließlich soll hinsichtlich der Klientel von Café Relax die ein weit größeres Spektrum umfasst als den Drogenbereich die Szene in Bewegung gehalten werden, um eine Verfestigung und erneute Bildung einer offenen Szene innerhalb der Stadt zu unterbinden. Dies entspricht dem “Dortmunder Modell”.

Diese Möglichkeit wurde bei einem Hearing am 23.05.2002 vom Arbeitskreis Sucht der Psycho-Sozialen Arbeitsgemeinschaft befürwortet. Vom CAD Maastricht und aus Dortmund wurde ebenfalls in diesem Hearing über positive Erfahrungen mit dieser Vorgehensweise berichtet. Zum damaligen Zeitpunkt wurde dieses Vorgehen jedoch vom Sozialausschuss noch als Junkie-Hopping abgelehnt.

Alle sozialen Hilfsangebote des Café Relax werden in der Stadt unterbreitet, jedoch nicht für die spezielle Drogenklientel.

 

Die Verwaltung sieht heute in dieser Möglichkeit eine kurzfristig umsetzbare Handlungsoption. In Gesprächen hat der Polizeipräsident erklärt, die Zerstreuung der Szene auf Dauer erreichen zu können und entsprechend auch handeln zu wollen.

 

Die Verwaltung schlägt deshalb im Haupt- und Sozialausschuss sowie dem Rat der Stadt vor, einen Grundsatzbeschluss zu treffen und die Verwaltung zu beauftragen, die Entzerrung und Verlagerung der Drogenszene und ihrer Begleiterscheinungen mit den weiter beschriebenen Einzelmaßnahmen in Angriff zu nehmen.

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