Entscheidungsvorlage - FB 01/0221/WP15

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag

Beschlussvorschlag:

Der Rat der Stadt nimmt die Ausführungen der Verwaltung zustimmend zur Kenntnis.

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Erläuterungen

Erläuterungen:

Antrag von Ratsherrn Schnitzler, UWG

betr. Aberkennung von Ehrenbürgerschaften

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1. Rechtlicher Rahmen

 

Gemäß § 34 Abs. 2 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen kann ein Rat mit einer Mehrheit von 2/3 der gesetzlichen Zahl der Mitglieder die Entziehung des Ehrenbürgerrechtes beschließen. Nach § 41 Abs. 1, Buchst. d) der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen gehören die Verleihung und die Entziehung des Ehrenbürgerrechtes und einer Ehrenbezeichnung in die ausschließliche Zuständigkeit des Rates.

 

2. Bisherige Verfahrensweise

 

Die Ehrenbürgerschaft ist üblicherweise die höchste von einer Stadt zu vergebende Auszeichnung. In Aachen werden Ehrenbürgerschaften ausweislich einer Zusammenstellung aufgrund der Angaben aus dem Buch “Geschichte Aachens in Daten” seit 1880 vergeben. Die Auflistung der Aachener Ehrenbürgerschaften ist historisch gewachsen und spiegelt auch die politischen Brüche der Stadtgeschichte wider.

 

Die Bewertung geehrter Personen kann sich im Laufe der Zeit wandeln, so dass frühere Ernennungen nach heutigen Maßstäben fragwürdig oder gar ungerechtfertigt erscheinen. Dies fordert häufig zu Debatten über die Berechtigung der Beibehaltung einer Ehrenbürgerschaft oder über die Forderung nach Aberkennung heraus. In besonders scharfer Form werden in der Regel in den deutschen Städten Diskussionen immer dann geführt, wenn eine Verstrickung der jeweiligen Persönlichkeit in den Nationalsozialismus offenbar ist oder gemutmaßt wird.

 

Die Aufhebung von Ehrenbürgerschaften wurde im Rat der Stadt zuletzt im Jahr 1983 diskutiert. Hierbei ging es um die am 29. März 1933 erfolgte Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Adolf Hitler sowie um die am 25. Juli 1933 erfolgte Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Hermann Göring. Auf Empfehlung des Hauptausschusses beschloss der Rat der Stadt am 16. März 1983 einstimmig:

 

“Der Rat der Stadt Aachen erklärt, dass es einhellige Auffassung aller im Rat der Stadt vertretenen demokratischen Parteien ist, dass die Ehrenbürgerschaften Adolf Hitlers und Hermann Görings durch verbrecherische Handlungen der Beliehenen verwirkt und spätestens mit dem Ende der Gewaltherrschaft erloschen sind.”

 

Auf eine formelle Aberkennung gemäß der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen wurde seinerzeit bewusst verzichtet, da es nach Ansicht des damaligen Rates einhellige Auffassung aller im Rat der Stadt seit Kriegsende vertretenen demokratischen Parteien war, dass die unter Druck des Nationalsozialismus in fast allen deutschen Städten zustande gekommenen Ehrenbürgerschaften für die Spitzenvertreter des Regimes durch deren verbrecherische Handlungen verwirkt und spätestens mit dem Ende der Gewaltherrschaft erloschen seien. Der damaligen Verwaltungsvorlage ist darüber hinaus zu entnehmen, dass die Sorge bestand, ein Beschluss über eine formelle Aufhebung der Ehrenbürgerschaft könne den - falschen - Verdacht erbringen, die von 1945 bis 1983 demokratisch gewählten Ratsvertreter hätten in der Zeit seit dem Kriegsende das angebliche Fortbestehen dieser Ehrenbürgerschaften gebilligt.

 

 

Bis heute erinnert die Stadt Aachen an die Verleihung der Ehrenbürgerschaft für Hitler als einen Tiefpunkt der Stadtgeschichte durch die Tafeln im Rahmen der “Wege gegen das Vergessen”; die Tafel am Aachener Rathaus macht ausdrücklich auf diese Anbiederung des im März 1933 unter Bedingungen von Terror und Verfolgung Andersdenkender gewählten Stadtrates aufmerksam.

 

3. Ehrenbürgerschaft für Paul von Hindenburg

 

Die Ehrenbürgerschaft der Stadt Aachen wurde dem damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg im Rahmen seines Besuches der Feier der Befreiung Aachens von der Nachkriegsbesatzung am 10. und 11. Oktober 1930 verliehen. Anders als in den meisten deutschen Städten handelte es sich bei dieser Ehrenbürgerschaft für Hindenburg nicht um eine während der Zeit des Wilhelminischen Reiches oder einer während der Zeit des Nationalsozialismus erfolgten Ehrung. Das Deutsche Reich war seit 1919 eine parlamentarische Demokratie, der Stadtrat von 1930 kann als demokratisch legitimierte Vertretung der Bürgerschaft angesehen werden. Die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Hindenburg war in Aachen somit keine Willfährigkeit gegenüber dem nationalsozialistischen Regime.

 

Für jede Institution, die Ehrungen vergibt, stellt sich die Frage des Umgangs mit früher erfolgten Ehrungen dann, wenn durch neuere Erkenntnisse oder gewandelte gesellschaftliche Bewertungen die Beibehaltung der Ehrung in Frage gestellt wird. Zudem ist stets offen, wie ein Geehrter sich für die Zukunft entwickeln wird, was die über eine Ehrung Entscheidenden nicht wissen können. Von daher sind Ehrungen, auch Ehrenbürgerschaften, immer im Kontext der konkreten gesellschaftlichen und politischen Situation ausgesprochen worden und auch in diesem Kontext zu beurteilen.

 

Für die Stadt Aachen und ihre demokratische gewählte Vertretung war 1930 - wie der damalige Oberbürgermeister Dr. Rombach es in seiner Begrüßungsansprache ausdrückte - Hindenburg  “der vom Volk gewählte, von seinem Vertrauen getragene Vertreter des Reiches”.

 

Der Aachener Stadtrat des Jahres 1930 konnte nicht voraussehen, dass Hindenburg später den Nationalsozialisten zur Macht verhalf mit dem Gegenzeichnen des Ermächtigungsgesetzes Hitler sogar absolute Macht übergab und mit dem Akzeptieren eines Diskriminierungsgesetzes, mit dem “nicht-arische” Beamte in den Ruhestand versetzt werden konnten, entscheidend dazu beitrug, den Weg in die Katastrophe, die zum Tod von Millionen Menschen führte, zu ebnen.

 

4. Ehrenbürgerschaften für Oberstadtdirektor a.D. Albert Servais und Dr. Kurt Pfeiffer

 

Albert Servais und Dr. Kurt Pfeiffer wurden am 26.02.1967 bzw. am 08.06.1968 Ehrenbürger der Stadt Aachen durch entsprechende Beschlüsse des Rates der Stadt. Beide wurden geehrt für ihr Wirken beim Wiederaufbau der Stadt und ihrer demokratischen Ausrichtung nach den Erfahrungen von Diktatur und Krieg.

 

Albert Servais war von April 1923 bis 1928 Beigeordneter der Stadt, ab 1928 bis 1933 Erster Beigeordneter mit der Amtsbezeichnung “Bürgermeister” und wurde durch Erlass des preußischen Innenministers aus politischen Gründen am 01. Juli 1933 beurlaubt und zum 01. September 1933 in den Ruhestand versetzt.

Nachdem er am 05. Juni 1945 auf Anordnung der Militärregierung als stellvertretender Oberbürgermeister und Stadtkämmerer eingesetzt worden war, wurde er am 19. Februar 1946 zum Oberstadtdirektor gewählt. Dieses Amt nahm er bis zum 30.09.1954 wahr.

 

Dr. Kurt Pfeiffer gehörte dem nur 10 Tage nach der Befreiung Aachens von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eingesetzten Bürgermeisterkollegium um den später ermordeten ersten Aachener Oberbürgermeister der Nachkriegszeit, Franz Oppenhoff, ab dem 31. 10. 1944 an und nahm bis zum 31.05.1945 die Verantwortung für die Finanz- und Vermögensverwaltung der Stadt wahr. Vor einem von ihm gegründeten Kreis Aachener Bürger, die nach den Jahren der Diktatur neue Wege zu beschreiten versuchten, hielt er am 19. Dezember 1949 eine Ansprache, in der er die Idee eines Internationalen Karlspreises erstmals entwickelte, die als Auszeichnung zur Förderung der Europäischen Einheit an die Reichsidee Karls des Großen anknüpfen und die Verleihung an die Stadt der Residenz und der Grabstätte des Frankenkaisers binden sollte. Aus dieser von ihm dargelegten Grundidee entwickelte sich der Internationale Karlspreis zu Aachen, der der bekannteste politische Preis, der in der Stadt Aachen vergeben wird, ist und im europäischen und internationalen Raum über höchste Reputation verfügt.

 

Der vorliegende Antrag auf Aberkennung der Ehrenbürgerschaft für Albert Servais und Dr. Kurt Pfeiffer  führt als Begründung Mitgliedschaften in NS-Organisationen an, wobei hierbei im Fall Servais eine unklare Quellenlage im Antrag selbst angegeben wird, zu Dr. Kurt Pfeiffer ein Zitat aus einem zeitgenössischem Bericht der unmittelbaren Nachkriegszeit angegeben wird.

 

Zur Bewertung des Umgangs mit der im Antrag vorgebrachten Sachlage können, da es keine Kriterien für die Aberkennung von Ehrenbürgerschaften gibt, die Kriterien, die dem Rat für die Umbenennung von Straßen durch die Verwaltung benannt worden sind, in analoger Anwendung herangezogen werden. Demnach würde eine Aberkennung einer Ehrenbürgerschaft nur unter der Voraussetzung erfolgen, dass es vorwerfbare Handlungen oder Äußerungen einer Person gibt, die so erheblich waren, dass die Aufrechterhaltung der Ehrenbürgerschaft heute politisch und moralisch unvertretbar erscheinen würde. Bloße Zweifel sollten hierfür nicht ausreichen. Im Falle der Ehrenbürger Albert Servais und Dr. Kurt Pfeiffer sind weder der Verwaltung noch - soweit für die Verwaltung ersichtlich - der historischen Forschung Tatbestände bekannt, die es rechtfertigen würden, vor dem Hintergrund der vorzitierten Kriterien eine Aberkennung der Ehrenbürgerschaft vorzunehmen. Die Verwaltung ist der Auffassung, dass eine Aberkennung einer Ehrenbürgerschaft nur dann gerechtfertigt wäre, wenn ihre Aufrechterhaltung heute schlechthin unerträglich wäre, wie dies beispielsweise im Falle Adolf Hitlers und Hermann Görings durch Erklärung des Rates aus dem Jahr 1983 deutlich gemacht wurde.

 

5. Fazit

 

In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei der Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Paul von Hindenburg um eine Entscheidung eines demokratisch legitimierten Vertretungsorgans der Stadt Aachen im Jahr 1930 handelte und Hindenburg - trotz seiner aus demokratischer Sicht heute verhängnisvollen Rolle bei der Zerstörung der ersten deutschen Demokratie - nicht in gleichem Maße verbrecherische Handlungen vorgeworfen werden können, wie dies in der Bewertung der Ehrenbürgerschaften Hitlers und Görings der Fall war, erscheint der Verwaltung ein Verzicht auf eine formelle Aberkennung hinnehmbar. Die Auflistung der Ehrenbürgerschaften der Stadt Aachen aus unterschiedlichen Epochen sind im jeweiligen Kontext zum Zeitpunkt ihrer Vergabe. Dass die demokratische Vertretung der Bürgerschaft heute andere Kriterien zugrunde legen würde für die Vergabe einer Ehrenbürgerschaft als dies im wilhelminischen Reich oder in der Spätphase der Weimarer Republik erfolgte, versteht sich von selbst.

 

Hinsichtlich der Ehrenbürgerschaften von Albert Servais und Dr. Kurt Pfeiffer ist die Verwaltung der Auffassung, dass beide sich Verdienste um den Aufbau der Demokratie in Aachen und dem Ansehen und der Entwicklung der Stadt erworben haben und eine Identifizierung ihres Wirkens mit den verbrecherischen Taten von Spitzenvertretern des nationalsozialistischen Regimes in keiner Weise zu rechtfertigen ist. Es gibt keinen Grund dem Antrag zu folgen.

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