Entscheidungsvorlage - E 49.5/0005/WP17
Grunddaten
- Betreff:
-
Rückgabe des gotischen Elfenbeinkästchens aus dem Bestand des Suermondt-Ludwig-Museum
- Status:
- öffentlich (Vorlage für Öffentlichkeit freigegeben)
- Vorlageart:
- Entscheidungsvorlage
- Federführend:
- Kulturservice
- Verfasst von:
- Michael Rief
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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●
Erledigt
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Betriebsausschuss Kultur
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Entscheidung
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18.09.2014
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Erläuterungen
Erläuterungen:
Beschreibung:
Es handelt sich um eine aus fünf beschnitzten Elfenbeinplatten zusammengesetzte Kassette (4 Seiten, 1 Deckel). Der Boden besteht aus einem Holzbrett. Auf dem Deckel sind christliche Motive dargestellt (Anbetung der Drei Heiligen Könige), auf den Seiten Szenen aus Ritterromanen, möglicherweise Begebenheiten aus der Tristan-, Parzifal- und Artus-Legende.
Datierung und Lokalisierung: Frankreich, 1. Hälfte 14. Jh. (Koechlin 1924); Frankreich 2. Drittel des 14. Jh. (Ausst.kat. Nürnberg 1993).
Maße: H: 66 mm; B: 220 mm; T: 110 mm
Material: Elfenbein
Inv.Nr. KK 998
Provenienz:
Sammlung Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840), Göttingen/Gotha; von ihm verkauft oder vererbt an das Haus Sachsen-Coburg-Gotha, vermutlich an Ernst I. Anton Carl Ludwig von Sachsen-Coburg-Gotha (1784 – 1844), 1928 in das Eigentum der neu gegründeten Herzog-von-Sachsen-Coburg-&-Gotha'sche-Stiftung für Kunst und Wissenschaft übergegangen, die nominell noch den Namen der herzoglichen Familie trug, jedoch dem Thüringischen Ministerium für Volksbildung und Justiz unterstand; Ende des 2. Weltkriegs von unbekannt widerrechtlich entnommen und in den Westen verbracht; Weinmüller Auktion LXIII, München, 13-15 November 1957, Los-Nr. 1312; 1957 Sammlung Franz Monheim, Aachen; 1969 Irene und Peter Ludwig, Aachen; 1977 im Rahmen der Schenkung durch die Eheleute Ludwig an das Suermondt-Museum Aachen.
Wert: EUR 100.000.-
Bibliographie:
'Die Geschichte des Grafen Ernst von Gleichen und seiner beiden Frauen an einem Schnitzwerk dargestellt', in Polyanthea: Ein Taschenbuch für das Jahr 1807 (Münster, 1807), S. 202-212 (hier: S. 202).
R. Koechlin: Les Ivoires gothiques français (Paris, 1924), I, S. 474, 513, 520, 521; II, no. 1312; III, pl. CCXVI.
W. Beeh: Kunstwerke aus Aachener Privatbesitz in der Ausstellung „Große Kunst des Mittelalters, in: Aachener Kunstblätter 22 (1961), S. 96-101.
D. Fouquet: 'Das Elfenbeinkästchen der Sammlung Monheim, Aachen', in Aachener Kunstblätter 40 (1971), S. 237-244.
E. G. Grimme, 'Die Schenkung Peter und Irene Ludwig für das Suermondt-Museum', in: Aachener Kunstblätter 51 (1982), Nr. 45, S. 43-44.
E.G. Grimme: Suermondt-Ludwig-Museum, Reihe museum, Braunschweig 1982, S. 72, Abb. S. 74
Ludwigs Lust: die Sammlung Irene und Peter Ludwig (Hrsg. M. Eissenhauer), Ausstell.kat. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, 19. 06.-10.10.1993, Nr. 77.
I. Bajorat, U. Däberitz, R. Wilfroth, Verlustdokumentation der Gothaer Kunstsammlungen, Bd. I: Die kunsthandwerklichen Sammlungen (Gotha, 1997), Nr. 70, S. 72.
Götter, Helden und Idole: Meisterwerke alter und neuer Kunst aus den Sammlungen Ludwig und Museen der Welt (Hrsg. B. Mensch & P. Pachnicke), Ausst.kat., Oberhausen, Ludwig Galerie Schloss Oberhausen,1998, Nr. 41, S. 148-150.
http://www.gothicivories.courtauld.ac.uk/search/results.html?n=41&qs=aachen
Suchmeldung Lost Art Koordinierungsstelle Magdeburg
Lost Art-ID 208340
Permalink http://www.lostart.de/DE/Verlust/208340
siehe auch: I. Bajorat, U. Däberitz, R. Wilfroth, Verlustdokumentation der Gothaer Kunstsammlungen, Bd. I: Die kunsthandwerklichen Sammlungen (Gotha, 1997), Nr. 70, S. 72.
Verlustgeschichte:
Die Elfenbeinkassette verschwand unter ungeklärten Umständen 1945/46 aus der Kunstsammlung Gotha. Es gibt verschiedene Erklärungsmodelle, wie das Werk in den Westen gelangt sein könnte:
1. In der Zeit der Wirren nach dem Zweiten Weltkrieg erlitten die 1928 in den Besitz der neu gegründeten Stiftung für Kunst und Wissenschaft übergegangenen Gothaer Sammlungen schwere Verluste. Zunächst kam es unter den Augen der US-amerikanischen Besatzungsdienststellen zu Diebstählen wie auch zu illegalen Verkäufen durch Museumsmitarbeiter.(zitiert nach: http://www.museum-digital.de/thue/index.php?t=institution&instnr=26).
2. Ein Teil des Kunstgutes wurde mithilfe amerikanischen Militärs, das bis Mitte Juli 1945 Thüringen besetzt hielt, im Auftrag des Herzogshauses Sachsen-Coburg und Gotha – obwohl nicht rechtmäßiger Eigentümer - nach Coburg in die amerikanische Besatzungszone verbracht (dies betrifft einen Teil der Münzsammlung mit 16.000 Stücken, höchst wertvoller Handschriften, eine Reihe hochkarätiger Gemälde von Cranach, Rembrandt und Rubens etc.). Später tauchten verschiedene [Münz-]Raritäten in Auktionen in der Schweiz, Österreich und der Bundesrepublik Deutschland auf, und so kam manches Stück in private Hand.‘ (zitiert nach http://www.vddm.de/index_el124.htm), die bedeutenden Handschriften und Gemälde wurden von nationalen und internationalen Bibliotheken bzw. Museen erworben.
3. Eine dritte Spur führt zum Auktionator und Kunsthändler Adolph Weinmüller vom gleichnamigen Auktionshaus in München, der im 3.Reich eine nachweisbar aktive Rolle bei der Arisierung von Versteigerungshäusern und Kunsthandlungen gespielt hatte. Er schrieb nach erfolgter Versteigerung des Elfenbeinkästchens am 09.12.1957 an Franz Monheim, Aachen: „Der damalige Besitzer, der berühmte Naturforscher Johann Friedrich Blumenbach in Göttingen, stammte aus Gotha (1742-1840). Später vermachte (oder verkaufte?) er seine Sammlung an seinen ehemaligen Landesherren, den Herzog von Sachsen-Gotha. Das Kästchen wurde dann im Museum zu Gotha aufbewahrt. Als die Russen um 1946 Thüringen besetzt hatten, betrachtete der Kommandant das Museumsgut als „Beute“ und ließ durch einen Kunstgelehrten unter seinen Offizieren alles was beweglich war, ausräumen. Ein jüdisches Konsortium erhielt den Auftrag und übernahm die Verwertung: es unterhielt in Erfurt mit gestopftvollen Regalen eine Ausstellung zum freien Verkauf an jedermann, aber nur gegen Gold in jeglicher Form. Dort erstand der Vorbesitzer mit anderen Sachen auch das Kästchen, im verständlichen guten Glauben, daß seine Erwerbung von einer offiziellen Stelle durchaus legal sei, und ohne eine Ahnung, daß das Stück aus dem Museum in Gotha stamme. Durch glückliche Umstände konnte er das Kästchen nach Westdeutschland bringen, und im Herbst übergab er es mir zur öffentlichen Versteigerung.“ Fouquet vermerkt 1971 in ihrem Artikel in den Aachener Kunstblättern lapidar: „Nach dem 2. Weltkrieg wurde unter der russischen Besatzung vieles aus dem Museum verkauft, auf diese Weise gelangte es in Privatbesitz (…) (S. 237). Derzeit läuft eine Rechercheanfrage beim Auktionshaus Neumeister, der Nachfolge-Institution des Weinmüller’schen Versteigerungshauses, um den Namen des Einlieferers zu ermitteln.
Ferner vermerkt Weinmüller in seinem o.a. Schreiben: „Durch meinen Auktionskatalog mit der Beschreibung und den Abbildungen wurde die Stiftung des Herzogs von Coburg und Gotha auf das Kästchen aus Gotha aufmerksam gemacht, und sie erhob Ansprüche als auf ihr Eigentum. Durch meine Vermittlung kam es dann doch zu einer Einigung zwischen dem Vorbesitzer und der genannten Stiftung, und so konnte das Kästchen ohne Bedenken versteigert werden.“. In der Weinmüller-Korrespondenz von 1957 existiert weder eine schriftliche Einverständniserklärung der angeführten angeblichen Eigentümer bzw. Beteiligten.
In einer schriftlichen Notiz meldet Weinmüller an den Konservator des Musée de Cluny in Paris, Prof. M. Salet, am 11.11.1957: „Im Nachtrag zu meinem Schreiben vom 5. November kann ich Ihnen noch heute die erfreuliche Mitteilung machen, daß sowohl der Herzog von Sachsen Coburg und Gotha als auch die Coburg-Gotha’sche Stiftung für Kunst und Wissenschaft ihr Einverständnis zur Versteigerung des Kästchens gegeben gaben.“ Hier muss nochmals betont werden, dass die Kunstsammlungen der Museen in Gotha ab 1928 der Verwaltung durch das Thüringische Ministerium für Volksbildung und Justiz unterstand und nicht mehr Eigentum des Hauses Sachsen-Coburg und Gotha bzw. der Stiftung für Kunst und Wissenschaft war.
In einem Brief vom 5.11.1957 an den o.a. Konservator des Museums in Paris führt Weinmüller folgenden Sachverhalt an: „Über die Herkunft habe ich von dem Besitzer das Folgende erfahren: ‚Als nach dem Kriege etwa 1946 die russische Armee das Land Thüringen besetzt hatte, ließ der russische Kommandant in Gotha, offenbar wohl beraten von einem Fachmann, viele kostbare Stücke des staatlichen Besitzes im Museum mit Beschlag belegen und kraft seiner Vollmacht enteignen. Ein Teil wurde nach Rußland überführt, ein Teil von dem russischen Kommandanten an Sammler regelrecht verkauft. Aus diesem Verkauf durch die russische Besatzungsmacht in Gotha stammt auch das Minnekästchen. Der jetzige Besitzer ist also durch seinen Ankauf von der bevollmächtigten russischen Dienststelle rechtmäßiger Eigentümer des Kästchens und hat keinerlei Bedenken, es in einer öffentlichen Auktion anzubieten‘
Der Direktor des Schloßmuseums Gotha, Bernd Schäfer, erbittet in einem Brief vom 13.12.1993 an Kulturdezernenten Nordhoff um Aufklärung über die Erwerbsgeschichte nach 1945/46. Der Direktor der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Prof. Dr. Martin Eberle, führt in einem Schreiben vom 13.11.2013 , beinhaltend Fotokopien der Inventarbuch-Einträge, nochmals Beweis bezüglich der Herkunft der Kassette aus dem Besitz des Gothaer Museums und legt dar, dass ein Abverkauf oder Verlust vor 1945/46 in den Museumsunterlagen nicht dokumentiert sei.
Es steht außer Zweifel, dass die Kassette 1945/46 widerrechtlich der staatlichen Kunstsammlung Gotha entzogen wurde. Dabei spielt die Tatsache, dass die Person des Täters noch nicht eruiert bzw. die genauen Umstände noch nicht geklärt werden konnten, keine Rolle. Denn abseits der rechtlichen Situation besteht eine moralische Verpflichtung, solche Objekte dem rechtmäßigen Eigentümer – in diesem Fall das Museum in Gotha – zurückzugeben. Deutsche Museen, die zu Recht auf die Rückgabe von in die Nachfolgestaaten der Sowjetunion („Beutekunst“) verschlepptem Kunst- und Kulturgut pochen, sollten im eigenen Land mit gutem Beispiel vorangehen.
Anlagen
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