24.06.2020 - 3 Vorstellung SOLWODI e.V. – Beratungsstelle Aachen
Grunddaten
- TOP:
- Ö 3
- Gremium:
- Integrationsrat
- Datum:
- Mi., 24.06.2020
- Status:
- gemischt (Sitzung abgeschlossen)
- Uhrzeit:
- 17:00
- Anlass:
- Öffentliche/Nichtöffentliche Sitzung
- Beratung:
- öffentlich
- Vorlageart:
- Kenntnisnahme
- Federführend:
- FB 56 - Fachbereich Wohnen, Soziales und Integration
- Beschluss:
- ungeändert beschlossen
Beratung
Frau Voell stellt mündlich den Verein SOLWODI e.V. vor.
Sie berichtet, dass über 80 % der Frauen in der Antoniusstraße in Aachen aus Rumänien stammen. Zudem referiert Frau Voell über die Bedeutung des Vereines. Der Vereinsname steht für Solidarität mit Frauen in Not und der Verein agiert unparteiisch.
Insgesamt existieren sieben Schutzhäuser in Deutschland. In Aachen gibt es zwei Beratungs- und Kontaktstellen. Es kann, bei Bedarf, eine Vermittlung in eines der sieben Schutzhäuser in Deutschland erfolgen, denn in Aachen ist keines dieser Schutzhäuser angesiedelt. Auch über internationale Beratungsstellen verfüge der Verein. In der Antoniusstraße selbst befindet sich eine der Beratungsstellen und Frau Voell sowie eine Kollegin sind tagsüber in der Straße präsent. Teilweise werden sie dort auch vom Gesundheitsamt begleitet, um einen niederschwelligen Zugang zum Amt zu gewährleisten. Zudem ist wöchentlich eine Ärztin von „Pro Familia“ sowie eine Kollegin von der Aids-Hilfe in der Beratungsstelle unterstützend tätig. Insgesamt ist die Beratungsstelle an drei Tagen in der Woche geöffnet.
Laut Frau Voell sind in der Antoniusstraße 125 bis 150 Frauen tätig. Im Durchschnitt seien die Frauen zwischen 21 und 30 Jahre alt sowie vornehmlich aus Osteuropa stammend.
Allerdings ist die Antoniusstraße seit dem 15.03.2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie geschlossen, ebenso wie die dort ansässigen 25 Bordelle. Zudem problematisiert Frau Voell die geringe Entlohnung und die hohen täglichen Mietkosten.
Die Beratung bei SOLWODI e. V. erfolge kostenlos und anonym. Der Verein biete eine individuelle Bedarfsberatung an, neben der Streetwork-Arbeit. Beraten wird unter anderem zu Themen wie Aufenthaltsrecht, Unterbringung in Schutzhäusern, Rechtsfragen, Hilfe zur Heimatlandrückkehr, zum Krankenversicherungssystem, zur Prävention und Aufklärungsarbeit usw.. Kontaktiert werden können die Mitarbeiterinnen des Vereins unter anderem über die Polizei, andere Beratungsstellen, das Gesundheitsamt, das Ordnungsamt und über Unterkünfte für Geflüchtete.
Abschließend referiert Frau Voell zur Problematik von Prostitution und Menschenhandel, in dessen Kontext zumeist falsche Versprechungen stünden. Dabei gäbe es unterschiedliche Formen des Zwangs, Drucks und zunehmender Kontrolle, nicht ausschließlich durch Männer verübt, sondern auch von anderen Frauen.
Eine Hauptursache von Menschenhandel sei die Existenzsicherung der eigenen Familie im Heimatland.
In diesem Zusammenhang wird von Frau Voell die Schwierigkeit hervorgehoben, dass die Beweislast für Menschenhandel beim Opfer liege, wobei die bestehenden Traumatisierungen der Frauen ein großes Problem darstellen würden.
Herr Özgün fragt, wie eine Kontaktaufnahme zu SOLWODI e.V. erfolgen kann.
Frau Voell antwortet, dass durch die Präsenz des Vereins in der Straße bereits eine Niederschwelligkeit gegeben sei.
Frau Höller-Radke fragt, wo die Frauen sich seit März 2020 (seit dem Lock-Down) befinden und wovon diese nun leben. Auch erkundigt sie sich, ob der Weg zumeist in die Illegalität geführt habe.
Frau Voell berichtet, dass sich 21 Frauen hilfesuchend an den Verein gewendet hätten. Zudem wurde eine Nothilfe vom Bistum bereitgestellt (50 Euro pro Frau pro Woche). Auch der „Arbeitskreis Prostitution“ habe sich beraten. Hierüber konnten Anträge beim Jobcenter gestellt werden. Allerdings gilt dies nur für Frauen, die bereits über eine Meldeanschrift verfügen. Auch von der Stadt Aachen sei eine Unterstützung bei Wohnungslosigkeit gegeben.
Frau Scheidt beschreibt die Problematik, dass ein Großteil der Frauen in die „Illegalität verschwunden“ sei. Zudem müsse man sich darauf einstellen, dass auch in den nächsten Jahren eine vergleichbare Situation eintrete. Es sei verständlich, dass der Verein keine Mittel habe, um die Frauen langfristig zu versorgen. Insgesamt vermutet Frau Scheidt, dass 70% bis 80% der Frauen seit dem Lock-Down in die Illegalität geraten sei.
Frau Voell bestätigt, dass sie nicht bestreiten könne, dass Frauen noch illegal tätig seien. Eine genaue prozentuale Angabe könne sie jedoch nicht machen.
Frau Scheidt fragt nach, was mit männlichen Prostituierten sei. Wie komme der Verein an diese heran, da diese ja nicht, wie die Frauen, in der Antoniusstraße arbeiten würden?
Frau Voell gibt Auskunft, dass sie keine Informationen darüber habe, wo in Aachen überall männliche Prostituierte tätig seien.
Auf Nachfrage von Frau Scheidt erklärt Frau Voell, dass auch männliche Prostituierte sich an den Verein wenden könnten, dies sei bislang jedoch noch nicht vorgekommen.
[Nachtrag von Frau Voell via Email an die Verwaltung: SOLWODI steht für „SOLidarity with WOmen in DIstress“ – Solidarität mit Frauen in Not. Damit ist dies keine Anlaufstelle für Männer in der Prostitution. Der Verein berät durchaus auch Transgender/Transsexuelle, allerdings keine Männer. Bisher hatte der Verein jedoch auch noch keine Anfrage dieser Art. Würde es eine solche Anfrage geben, müsste man diese im Einzelfall prüfen und evtl. mit der Leitung von SOLWODI e.V. Rücksprache halten, wie man mit solchen Anfragen umgeht.]
Weiterhin fragt Frau Scheidt nach der Anzahl derjenigen, die aus der Prostitution ausgestiegen sind.
Frau Voell erwidert, dass hierzu keine genauen Zahlen vorliegen. Sie wisse jedoch aus der Vereins-erfahrung heraus, dass es nur wenige geschafft hätten.
Frau Scheidt gibt den Hinweis, dass Personen bis 25 Jahre unter das Kinder- und Jugendschutzgesetz fallen würden und dieses Hilfesystem in Anspruch genommen werden sollte. Entsprechend könnten Betreuungsplätze über das System angeboten werden, um zum Beispiel Schulabschlüsse nachzuholen. Frau Voell dankt für den Hinweis und hebt hervor, dass der Verein auf die Wünsche und Bedarfe der Frauen angewiesen sei.
Frau Fröhlich fragt, wie die Fluktuation in der Antoniusstraße aussähe.
Frau Voell gibt Auskunft, dass es sich hierzu unterschiedlich verhalte. Es würden immer wieder neue Gesichter in der Straße erscheinen. Zudem gibt sie den Hinweis, dass der Verein nur tagsüber die Streetwork-Tätigkeit ausführe und damit andere Frauen anträfe, als die, die nachts in der Straße arbeiten würden.
Herr Pivovarov fragt nach, wie häufig Frauen aus EU-Ländern und wie oft Frauen aus anderen Ländern stammen würden.
Frau Voell berichtet, dass meist Frauen aus EU-Ländern, mit einem EU-Pass, in der Straße anzutreffen seien. Die meisten Frauen würden aus Rumänien stammen, gefolgt von Frauen aus Bulgarien.
Herr Pivovarov fragt nach, welche dieser Frauen am häufigsten dauerhaft bleiben würden.
Auch diesbezüglich gibt Frau Voell die Auskunft, dass meistens Frauen aus Rumänien und Bulgarien bleiben würden.
Herr Demmer erkundigt sich, ob eine Verschiebung festzustellen sei, sodass aktuell mehr Frauen aus Ost-Europa und weniger Schwarzafrikanerinnen in der Antoniusstraße tätig seien. Zudem fragt er nach, wie viele Frauen von SOLWODI e.V. erreicht werden. Abschließend erkundigt er sich, wie viele Frauen tatsächlich ihre Tätigkeit nach dem Prostitutionsschutzgesetz ausüben und nicht aus einer prekären Situation heraus.
Frau Voell antwortet auf die erste Frage, dass Schwarzafrikanerinnen „von der Bildfläche verschwunden“ seien. Ein Grund hierfür liege darin, dass diese Gruppe aufgrund eines fehlenden EU-Passes keine Anmeldung nach dem Prostitutionsschutzgesetz beim Ordnungsamt erhalten würde. Bezüglich der zweiten Frage gibt Frau Voell Auskunft, dass der Verein über die Hälfte der Frauen in der Antoniusstraße erreichen würde. Bezüglich der letzten Frage bestehe seitens des Vereins die Erfahrung, dass bisher keine einzige Frau angetroffen wurde, die nicht aus ihrer prekären Situation heraus der Prostitution nachgehe. Abschließend verweist Frau Voell noch auf das Unterstützungsangebot der Stadt Aachen zur Rückkehr in das jeweilige Heimatland.
Frau Epstein erkundigt sich, ob Frau Voell die einzige Mitarbeiterin sei und ob weitere Finanzierungs-hilfen notwendig wären. Frau Voell antwortet, dass die Finanzierung von zwei Beschäftigten – sie selbst und eine weitere Mitarbeiterin – gesichert sei.
Frau Arzani bedankt sich für die Arbeit des Vereins und fragt allgemein das Gremium, warum die Politik sich der Problematik der Prostitution und des Menschenhandels nicht intensiver annehme und eine Lösung für illegale Prostitution suche. Sie verstehe nicht, warum die Frauen sich so verletzen lassen würden und die Familien dies zuließen.
Frau Voell merkt an, dass die Familien in den Heimatländern oft nicht wüssten, was die Frauen tuen bzw. woher das Geld, das sie in die Heimat senden, komme. Zudem beschreibt Frau Voell die häufig praktizierte innerliche Abspaltung der Frauen, die notwendig sei, um diese Form von Intimität zuzulassen. Viele Frauen würden zudem in eine Alkohol- und Drogen-Abhängigkeit geraten, um die Prostitution zu ertragen.
Die Besucherin Frau Szymanska merkt an, dass das größte Problem in diesem Kontext eine fehlende Anmeldung sei.
Die Integrationsratsvorsitzende Frau Blume weist die Besucherin darauf hin, dass nur Integrationsratsmitglieder ein Rederecht haben.
Frau Scheidt merkt an, dass der Hinweis der Besucherin dennoch wichtig sei.
Frau Ambadar hebt hervor, dass Aufenthaltsgenehmigungen und Anmeldebescheinigungen das A und O zu sein scheinen.
Herr Iscan bedankt sich für den Vortrag und erkundigt sich, ob bekannt sei, wo andere legale Prostitutionsstätten, abseits der Antoniusstraße, seien.
Frau Voell antwortet, dass die meisten Frauen in der Antoniusstraße tätig seien. Zudem bestehe die Schwierigkeit, die Frauen in ihren Wohnungen zu besuchen und sie dort seitens des Vereins zu betreuen. Die meisten Frauen würden sich an den Verein wenden, wenn sie sich legal in Deutschland aufhalten würden. Frauen, die sich illegal in Deutschland sowie im Prostitutionsgewerbe aufhalten, würden meist im Hintergrund bleiben und sich nicht an den Verein wenden.
Frau Scheidt hebt nochmals die Bedeutung einer aktuellen Meldeadresse seitens der Frauen hervor. Zudem gibt sie den Hinweis, dem diesjährigen Karlspreisträger, dem rumänischen Staatspräsidenten Herrn Klaus Iohannis, einen offenen Brief seitens des „Arbeitskreises Prostitution“ zu schreiben, damit er bereits im eigenen Land illegale Prostitutionsnetzwerke identifizieren und zerschlagen könne.
Frau Voell nimmt diesen Hinweis gerne mit. Die Bedeutung einer aktuellen Meldeadresse für das Stellen von Anträgen beim Jobcenter sei dem Verein bereits bekannt. Sie weist abschließend auf im Eingangsbereich des Sitzungsraums ausliegendes Informationsmaterial des Vereins hin.
Die Integrationsratsvorsitzende Frau Blume bedankt sich bei Frau Voell und gibt den Hinweis, dass in Italien Prostitutionshäuser geschlossen wurden und dies in Deutschland nicht passieren dürfe.
Der Beschluss erfolgt einstimmig.