Kenntnisnahme - Dez V/0003/WP16
Grunddaten
- Status:
- öffentlich (Vorlage für Öffentlichkeit freigegeben)
- Vorlageart:
- Kenntnisnahme
- Federführend:
- Dezernat V
- Verfasst von:
- Herr Kottmann
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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●
Erledigt
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Bürgerforum
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Kenntnisnahme
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13.09.2011
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Beschlussvorschlag
Beschlussvorschlag:
1. Das Bürgerforum nimmt die Ausführungen der Verwaltung zur Kenntnis.
2. Das Bürgerforum bittet die Verwaltung, die Aufarbeitung der Verfolgung und Hinrichtung unschuldiger Frauen als angebliche Hexen durch die Heimat- und Geschichtsvereine mit den hierfür in Frage kommenden Dienststellen (z.B. Stadtarchiv, Volkshochschule) zu unterstützen und im Rahmen der Darstellung der Stadtgeschichte angemessen zu berücksichtigen.
Erläuterungen
Erläuterungen:
Anregung und Beschwerden gemäß § 24 GO NRW
Hexenverbrennungen in Aachen
hier Eingaben von:
- Herrn V. vom 29. 7. 2011
- Herrn D. vom 22., 26. und 28. 7. 2011
- Frau G. vom 2. 8. 2011
- FrauenNetzwerk e.V. vom 21. 7. 2011
- Künstler Pierre Habets vom 22. 8. 2011
Die Antragsteller beziehen sich auf die Hexenverbrennungen in Aachen zu Anfang des 17. Jh. und verlangen
- die Rehabilitation der unschuldig hingerichteten Frauen durch den Rat der Stadt Aachen,
- eine symbolische Wiedergutmachung durch Gedächtnistafeln oder
- ein künstlerisch gestaltetes Denkmal (so der Künstler Pierre Habets aus Schinnen, Zuidlimburg).
Die Überlieferung der Aachener Stadtgeschichte kennt nur sieben - und damit relativ wenige (s.u.) - in den Jahren 1604 bis 1649 vollzogene Verbrennungen angeblicher Hexen. Die strafrechtsgeschichtliche Forschung hat auch angesichts der Unmöglichkeit der Feststellung von für ganz Deutschland geltenden absoluten Zahlen festgestellt, dass
in einigen Gebieten des Reiches im Verhältnis zu anderen Gebieten Konzentrationen erkennbar werden. Unter den genannten Vorbehalten kann man das Reich in zwei Zonen einteilen, von denen eine in Relation zu anderen die Kernzone der Hexenprozesse bildet. ... Die Zone mit dem geringen Anteil an Hexenprozessen bilden das Niederrheingebiet, die nord- und ostdeutsche Tiefebenen und - außer Mecklenburg - und Bayern... in Jülich-Kleve-Berg ist im großen und ganzen im Geiste von Johann Weyer verfahren worden [Anm.: Johann Weyer 1516 - 1588, ein bedeutender und sehr früher rheinischer Kritiker des Hexenwahns; vergl. Schormann, S. 65; Hammes S. 193 - 207].
Leder (S. 198 f.) geht von Hunderttausenden unschuldiger Opfer, fast ausschließlich Frauen, aus:
.. Im Werdenfelser Land mit dem Hauptort Garmisch werden in den Jahren 1590 und 1591 ein Mann gerädert und 49 Frauen als Hexen verbrannt. .. Die älteste der Frauen war 94 Jahre alt, auf der Folter hat man ihr das Geständnis abgepresst, mit dem Teufel Unzucht getrieben zu haben. In Schongau wurden seit 1589 mindestens 63 Frauen verbrannt. Im Bistum Bamberg lodern von 1524 bis 1625 mehr als 300 Hexenbrände. Doch von 1625 bis 1631 werden es dort doppelt so viele. Unter den Verurteilten sind Kinder von sieben bis zehn Jahren. .. Im Bistum Würzburg brennen von 1625 bis 1633 etwa 900 Scheiterhaufen. .. In Fulda sind es von 1608 bis 1618 etwa 700 Menschen. In Paderborn hat ein einziger Hexenrichter etwa 500 Frauen als Hexen verurteilt. In Salzburg ... fallen dem Hexenbrand allein 1679 97 Menschen zum Opfer.
Die Forschung hat einen weiteren Trend festgestellt: je ländlicher und je bildungsferner eine Region war, umso schlimmer wüteten die Hexenverfolger. Die Auswertung saarländischer Quellen ergab, dass 81 % der Hexenverbrennungen auf die Dörfer, 16 % auf Kleinstädte und nur 3 % auf größere Städte entfielen (s. Schormann S. 72). In den Kleinstädten der Eifel lagen auch die absoluten Opferzahlen deutlich über denen von Aachen, nach damaligen Maßstäben eine bedeutende Großstadt.
Die relativ geringe Zahl bekannt gewordener, unschuldiger Opfer der Hexenverfolgung in Aachen dürfte also nicht allein an der wegen des Stadtbrandes von 1656 schlechten Quellenlage liegen (s. dazu Loersch, S. 13). Hexenverbrennungen waren besonders spektakuläre öffentliche Ereignisse, die sich in mehreren Quellen nieder schlugen. Dennoch sind auch außerhalb Aachens in den seltensten Fällen noch vollständige Gerichtsakten erhalten. Von der Forschung können aber auch Aufzeichnungen der Beichtväter, chronikalische Aufzeichnungen, Tagebücher und andere Quellen ausgewertet werden. Zu letzteren zählt auch die volkstümliche Überlieferung, auch wenn diese erhebliche Ungenauigkeiten und Verfälschungen enthält (s. z.B. Sage von der Gräfin Mobesin).
Die Strafrechtsgeschichte kennt sowohl die Folter wie auch den Vorwurf der Zauberei oder Hexerei schon seit der Antike. Besonders spektakuläre Fälle des Mittelalters waren die Prozesse gegen Jeanne d`Arc und gegen Agnes Bernauer. Jeanne d`Arc warf man unter anderem Dämonenanbetung, Feenzauber, Giftmischerei und Häresie vor. Agnes Bernauer, als einfache Badertochter keine standesmäßig akzeptable Partnerin für einen Herzog, soll den jungen Bayrischen Herzog durch Liebeszauber in ihren Bann gezogen haben. In beiden Fällen ging es um die Ausschaltung politisch störender Frauen. Eine neue sowohl menschlich wie quantitativ erschreckende Dimension bekam der Vorwurf der Hexerei und die Verankerung der Folter im Prozessrecht erst mit dem 16. Jh.. Vorausgegangen war die Bulle Innocenz VIII. Summis desiderantes affectibus von 1484, in der die 1487 vom Dominikaner Heinrich Institoris 1487 im Hexenhammer zusammen gefassten mittelalterlichen Vorstellungen über den Leibhaftigen und angebliche Teufelsbuhlschaften böser Frauen als Dogma verankert wurde. Angebliche Hexenmale wollte man als Indiz für einen Teufelspakt der beschuldigten Frauen werten. Immer, d.h. stereotyp warf man den beschuldigten Frauen einen Teufelspakt und die regelmäßige Teilnahme an einem Hexentanz vor. Die beschuldigten Frauen wurden nach Erzwingung des Geständnisses angehalten, andere Frauen zu besagen, die ebenfalls am Hexentanz teilgenommen hätten. Daraus ergaben sich häufig regelrechte Massenverfahren. Für das außerordentliche Verbrechen des maleficium verlangte man die Todesstrafe.
Unabhängig davon gab es Anfang des 16. Jh. eine Modernisierung des Strafprozeß- und Strafrechtes. Man überließ die Anklage nicht mehr dem Geschädigten, sondern verankerte im Gesetz die öffentliche Anklageerhebung. Das Ergebnis von Ermittlungsverfahren wollte man nicht länger davon abhängig machen, ob dem Beschuldigten der Reinigungseid gelang oder ob ihn gut beleumdete Eideshelfer unterstützten. Man wollte von der Wahrheit des Ergebnisses der Beweisaufnahme überzeugt werden. Wegen der noch völlig unzureichenden kriminalistischen Methoden glaubte man auf das Geständnis des Beschuldigten angewiesen zu sein. Bei dringendem Verdacht auf ein mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens, wurde die Folter zur Erzwingung eines Geständnisses erlaubt. Der Bielefelder Strafrechtsprofessor Schild, der derzeit führende Strafrechtshistoriker Deutschlands, schreibt (s. S. 111, 135):
Die Gefährlichkeit der Folter als Mittel der Wahrheitsfindung wurde immer gesehen; im Verlaufe der Hexenverfolgungen wurde bei vielen ihre Untauglichkeit zur Gewissheit. ... Die Erfahrungen der Grenzenlosigkeit der Folter bestärkte selbstverständlich die immer schon vorhandene Kritik an der Tauglichkeit der Folter als Beweisverfahren und daher an ihrer Rechtlichkeit. Die Steigerung der Kritik führte schließlich zu ihrer Aufhebung.
Die Anwendung dieser Strafvorschrift war also schon zur Zeit ihrer Geltung umstritten.
Schon ... König Friedrich Wilhelm I. hatte im Jahre 1728 alle Hexenprozesse verboten. ... Kurz nach seiner Thronbesteigung erließ [Friedrich der Große] unter dem 13. Dezember 1718 ein Mandat, welches das Ende der Hexenprozesse ankündigte. ... bis es dahin gekommen sein würde, sollten alle Urteile in Hexensachen, bei denen es sich um die Anwendung der scharfen Frage oder gar um Verhängung der Todesstrafe handle, ihm selbst zur Konfirmierung vorgelegt werde. (S. König S. 543 ff.)
Die Menschen des 17. Jh. fühlten sich angesichts der Zementierung der Kirchenspaltung, der fort bestehenden Türkengefahr, des 30jährigen Krieges und der Pest zutiefst erschüttert und existentiell bedroht. Dafür konnte Gott doch nicht verantwortlich sein, sondern das Böse, das man im leibhaftigen Teufel verkörpert sah. Die von der verunsicherten Bevölkerung überwiegend akzeptierte Hexenverfolgung wuchs sich an einzelnen Orten und in einzelnen Regionen zu regelrechten Massenverfolgungen aus. In der Strafrechtsgeschichte wird dies schon lange kritisch gewürdigt. Stellvertretend sei hier aus dem Standardlehrbuch von Mitteis/Lieberich (Deutsche Rechtsgeschichte, 19. Auflage, München 1992, Kapitel 43, II 7) zitiert:
"Zu den dunkelsten Seiten der Strafrechtspflege der Neuzeit gehören die Hexenprozesse. .. Obgleich die Hexenbulle Innozenz` III. von 1484 und der Hexenhammer .. noch dem 15. Jh. angehören, fällt die massenweise Hexenjagd erst in das folgende Jh.. Im späteren 16. Jh. wird nicht nur die schädliche Magie, sondern jeder Teufelspakt als Abfall von Gott mit dem Feuertod bestraft. Dabei verführten die ENORMITAS CRIMINIS und der Glaube an die dämonenvertreibende Kraft der Tortur zur hemmungslosen Anwendung der Folter. Es kam zu wahren Orgien der Massenhysterie. Erst die Aufklärung des 18. Jh. hat dem Widerspruch der Besonnenen (Spee, Thomasius) Gehör verschafft..."
Die Aachener Gerichtsakten der vor dem Stadtbrand von 1656 liegenden sieben Hexenverbrennungen befanden sich schon Anfang des 19. Jh. nicht mehr unter den dem Landgericht Aachen überlassenen Beständen. Für die Zeit ab 1657 liegt bis zum Ende der reichstädtischen Eigenständigkeit ein vollständiges Verzeichnis der Strafrechtsurteile des Schöffenstuhls vor, das kein einziges Urteil wegen des Vorwurfes der angeblichen Hexerei oder Zauberei enthält:
Es waren eben Missetaten der mannigfachsten Art, unter denen sich jedoch Zauberei nicht findet, weshalb das Protokollbuch kein einziges Beispiel eines sog. Hexenprozesses liefert (Oppenhoff S. 29).
Aus den Rechnungsbüchern des an diesen Gerichtsverfahren immer beteiligten vom Herzog von Jülich bestellten sog. Vogtmajors sind folgende Hexenverbrennungen überliefert (s. Siemons S. 53 ff.):
- 25. 9. 1604 Maria Kroisetti (Das vom Henker besonders in Rechnung gestellte Säckchen Pulver enthielt vermutlich Schwarzpulver, das bei Entzündung des Scheiterhaufens für einen schnellen Tod sorgte.)
- 14.9.1630 Catharina Brandts und Gertrud Eulrichs (Vor der Überlieferung an den Scheiterhaufen wurden sie mit dem Schwert enthauptet.)
- 26.11. 1630 Zey Kaußen und Eiff Montzen (Eine der Delinquentinnen war bereits in der Haft - vermutlich an den Folgen der Folter - verstorben, die andere wurde vor dem Verbrennen erdrosselt.)
- 10. 12. 1630 Catharina von Thenen, genannt die Maubasche (Sie war vermögend und evtl. mit dem Jesuiten und Geschichtsschreiber von Thenen verwandt. Ihr wurde die weniger schimpfliche und schneller zum Tode führende Hinrichtung durch Enthauptung zugestanden.)
- 1649 aus dem Bericht eines als Beichtvater hinzugezogenen Jesuiten wurde im Nachhinein das namentlich nicht bekannte 13jährige Mädchen bekannt, dem man auch Giftmischerei vorwarf.
Im Jahre 1604 konnte sich in Aachen niemand an die Vollstreckung eines Todesurteiles wegen angeblicher Hexerei erinnern. In folgenden Fällen wurde die Folter nicht angewandt bzw. führte nicht zum Geständnis und rettete die Gequälten vor dem Feuertod.
- nach einer Haft vom 5. bis 21. 11. 1598 wurde eine namentlich nicht genannte zeuberin aus der Haft entlassen.
- nach einer Haftzeit von 21 Tagen wurde am 1.11.1601 die der Zauberei verdächtigte Claudin Zeschau entlassen.
- im Jahre 1602 soll die der Zauberei verdächtigte Anna Ponell zur Tortur in die Acht (Gebäude des Schöffengerichts) geführt werden. Es sind keine weiteren Ausgaben etwa für eine Hinrichtung vermerkt.
- am 1.3. 1618 wurde Angela Pressmondt nach zweimaliger (vergeblicher) Folter entlassen.
Wer trug nun die Verantwortung für die Verfahren und wen könnte man heute als dessen Rechtsnachfolger ansehen?
Für Aachen ist die extrem aufgespaltete Gerichtsverfassung zu beachten. Heinz Malangré weist in seiner juristischen Dissertation an der Uni Bonn von 1956 fünf verschiedene Gerichte mit konkurrierenden Zuständigkeiten in Aachen auf (s. S. 116). Es gab also in Aachen sowohl für Zivilsachen wie für Strafsachen wie für branchenbezogene Rechtsstreitigkeiten wie für Verstöße gegen die kirchliche Ordnung sich widersprechende bzw. nach bestimmten Kriterien abzugrenzende Gerichtszuständigkeiten. Wegen des vorliegenden Antrages ist hervorzuheben, dass der reichsstädtische Rat nicht nur exekutive und im gewissen Rahmen legislatorische Kompetenzen besaß, sondern auch als Gericht fungierte. Seine Gerichtsbarkeit konkurrierte bei Verbrechen, für die nach der insoweit als Maßstab geltenden Constitutio Criminalis Carolina (CCC) die Todesstrafe angedroht war, mit der des Königlichen Schöffenstuhl zu Aachen. Die Gerichtsstätte des Rates befand sich innerhalb eines Gebäudes (Grashaus) und innerhalb der Stadt (Pranger auf dem Katschhof) bzw. vor dem Rostor. Das Hochgericht des Schöffenstuhls aber befand sich auf dem Königshügel. Wenn die CCC schärfere Strafen als die Hinrichtung mit dem Schwert vorsah oder wenn das Verfahren sich nicht gegen Einwohner der Stadt und des sog. Aachener Reiches richtete, fiel das gesamte Verfahren und das Urteil in die Zuständigkeit des Schöffengerichts. Ausnahme hiervon wiederum waren auch ortsfremde - Brecher des öffentlichen Friedens, die der Rat wiederum justifizierte und zwar ausnahmsweise auch einmal öffentlich auf einem Schafott auf dem Marktplatz (z.B. am 3.12.1616 Matthias Schmetz und Andreas Schwarz). Todesurteile konnten nur diese beiden Gerichte verhängen.
Die den historischen Hexenprozessen in Aachen und vielen anderen Orten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zugrunde liegende Rechtsvorschrift war Art 109 der Constitutio Criminalis Carolina (CCC, deutsch: Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V.) von1532 (hier zitiert nach einer deutschen Fassung von 1712):
"Straff der Zauberey
So jemand den Leuthen durch Zauberey Schaden oder Nachtheil zugefüget, soll man ihn stossen vom Leben zum Tod und man soll solche Straff mit dem Feur thun. Wo aber jemand Zauberey gebrauchet und damit niemand Schaden gethan hat, soll sonst gestrafft werden nach Gelegenheit der Sach, darinnen die Urtheiler Raths gebrauchen sollen, wie vom Nachsuchen hernach geschrieben stehet."
Alle wegen angeblicher Zauberei und Hexerei überführten Personen waren also mit dem Feuertod zu bestrafen und fielen damit in die Zuständigkeit des Schöffengerichts.
Dass aber Einen Ehrsamen Rath über Blut zu urtheilen habe, verstehen über Bürger und Reichs-Unterthanen, item, so sie mehr nicht als Schwerds würdige Sachen würden begangen haben, dann in solchem falle werden dieselbe in der Stadt im Graßhaus mit dem Schwerd gerichtet, sonsten, da sie mit Feur, mit dem Galgen, mit dem Rade oder dergleichen zu bestrafen stünden, so werden sie gleichs den Fremden ins Feld geführt, und daselbsten justifizirt und hingerichtet, spricht Einen Ehrsamen Rath auch alsdann den Sentenz nicht, sondern die Herren Schöpfen. (s. Noppius, !. Buch, 31. Kapitel)
Gerade der vielleicht bedeutendste deutsche Verfassungsjurist des 18. Jh., Johann Jakob Moser, hat sich mit den jahrzehntelangen Versuchen des Rates der Reichsstadt Aachen am Anfang des 17. Jh., maßgeblichen Einfluss auf den Königlichen Schöffenstuhl zu Aachen zu nehmen, befasst. Dieser verteidigte aber letztlich erfolgreich seine Eigen- und Sonderstellung:
Capitel VIII, § 37, Ein von allen disen Collegien gantz abgesondertes, nicht unter dem Rath oder der Statt, sondern unmittelbar unter dem Kaiser und Reich zu stehen behauptendes, wohl aber zur Statt gehörendes Collegium ist der Schöppen-Stuhl zu Aachen.
Wenn der vorliegende Antrag - gewissermaßen wie eine Petition - die Rehabilitierung von Unschuldigen, die in Aachen als Zauberer oder Hexen verurteilt worden sind, beabsichtigt, müsste er sich an den Rechtsnachfolger des damaligen Gerichtes wenden. Das ist aber nicht der Rat der Stadt Aachen, sondern die Gerichtsbarkeit des Landes bzw. das für Petitionen zuständige Organ des Landes NRW. Selbst das dürfte hier seine Zuständigkeit in Frage stellen, da das damalige Unrecht ja schon darin begründet war, dass das CCC als reichsweit geltendes Recht die Begehung derartiger Delikte für tatsächlich möglich hielt und unter eine verschärfte Form der Todesstrafe stellte, wodurch erst die Anwendung der Folter in Frage kam. Von Ausnahmen abgesehen, setzte die Anwendung der Folter nämlich voraus, dass das Gericht in einem Beschluss einen hinreichenden Verdacht auf ein todeswürdiges Verbrechen annahm und die peinliche Befragung zur Erlangung eines Geständnisses anordnete.
Man darf wohl in Zweifel ziehen, ob die Rehabilitation von Opfern des vor allem in die frühe Neuzeit fallenden Hexenwahns und der Hexenverfolgung für die Betroffenen auch nur annähernd die gleiche tatsächliche und rechtliche Bedeutung erlangen kann, wie die Rehabilitation von Opfern der Unrechtsjustiz des NS-Staates und der DDR.
In letzteren Fällen lebten die Opfer selbst, deren Angehörigen und die vom Verfahren Betroffene zumeist noch und zuweilen auch die Verantwortlichen für Unrechtsurteile oder deren Vollstreckung. Als mit der Rehabilitierung verbundene Konsequenz ging und geht es häufig um Entschädigungs- und Rentenansprüche - oder aber um die Verurteilung der Verantwortlichen.
Eine persönliche Rehabilitierung von im 17. Jh. unschuldig hingerichteten Personen, deren Identität und Schicksal in den meisten Fällen wenn überhaupt - erst einmal mühsam zu ermitteln wäre, könnte so lange nach dem schrecklichen Geschehen diesen selbst und näheren Angehörigen nicht mehr helfen.
Es obliegt nicht der Befassungskompetenz des Rates der Stadt Aachen darüber zu befinden, ob die in früheren Jahrhunderten ergangenen Urteile Unrecht und die Verurteilten zu rehabilitieren sind. Als Rechtsnachfolger des alten Reiches gibt es in Europa mehrere Nachfolgestaaten auf dessen historischem Territorium - darunter die Bundesrepublik Deutschland. Will man heute die Opfer der auf diese Bestimmung gestützten gerichtlichen Entscheidungen rehabilitieren, wäre für eine förmliche Kassation des Unrechtsartikels der Deutsche Bundestag zuständig, dem die Stadt Aachen keine Empfehlungen erteilen kann.
Das Anliegen, der schrecklichen Fehl- und Unrechtsurteile gegenüber unschuldigen Frauen zu gedenken, ist aber durchaus berechtigt. Schon der traditionsreiche Geschichtsverein hat sich früh in seinen Publikationen mit dem Thema befasst. Auch der Eilendorfer Heimatverein hat über einen Fall berichtet, in dem sich eine der Hexerei verdächtigte Eilendorfer Familie durch überstürzte Flucht einem sicherlich gefährlichen Hexenprozess entziehen konnte. Die örtlichen Vereine könnten das Thema auch immer wieder bei Stadtrundgängen, Führungen und Vorträgen aufgreifen. Am letzten Tag des offenen Denkmals (Motto: Orte der Bewegung) gedachte z.B. eine Gruppe bei einer Führung am Hexenberg des Schicksals des auf dem Königshügel verbrannten 13jährigenMädchens. Die Straße "Hexenberg" ist vor dem historischen Hochgericht der vorletzte, besonders steile Abschnitt der historischen Straße Via Regia (Königsstraße), die über den Königshügel verlief. Eine Aufnahme der Via Regia in die Route Charlemagne wird von einigen Vereinen befürwortet. Es wäre wünschenswert an dem Ort, der nach historischen Karten ohne weiteres als Hochgericht des ehemaligen Schöffenstuhls identifizierbar ist, der heute in städtischem Eigentum steht und der als Wendehammer einer Anliegerstraße dient, eine Erinnerungstafel anzubringen Ob es private Sponsoren für Informationstafeln am eigentlichen Ort des dramatischen Geschehens geben wird, bleibt abzuwarten. Leichter realisierbar wäre es, im Internet über den von der RWTH Aachen für die Route Charlemagne entwickelten sog. Aixplorer und über Smartphones und den sog. QR-Code abrufbare Informationen aufzubereiten.
Auch mit Denkmälern wie beispielsweise der Bronzeplastik am Lousberg, die die Dombausage künstlerisch umsetzt, oder den Wehrhaften Schmied kann man historischer Ereignisse gedenken. Der Künstler Pierre Habets schlägt dies auch für die Opfer der Hexenverfolgung in Aachen vor. Auch hier wird davon ausgegangen, dass die Anregung nur dann realisiert werden kann, wenn sich Sponsoren für die nicht unerheblichen Kosten finden lassen.
Ein noch weiter gehendes Bedürfnis an Rehabilitation besteht heute nicht mehr, da praktisch niemand mehr daran zweifelt, dass der damalige Strafvorwurf einer angeblichen Hexerei oder Zauberei naturwissenschaftlicher Unsinn und juristisch gesehen krasses Unrecht war.
Die Anwendung und selbst die konkrete Androhung der Folter, die früher bei der Todesstrafe die Regel war, für die man - wie oben gesagt - prozessual ein Geständnis brauchte, wird übrigens schon lange unabhängig vom jeweiligen Strafvorwurf an sich als Unrecht verworfen ebenso wie man die Todesstrafe schon lange verfassungsrechtlich verworfen und abgeschafft hat.
Seinerzeit richtete sich das Wüten der Hexenverfolger fast ausschließlich gegen Frauen. Um dem gerecht zu werden wäre denkbar, das Thema etwa durch Ausstellung entsprechender Literatur und Grafik in der Stadtbibliothek oder entsprechender Stücke im Programm des Stadttheaters (Jeanne d`Arc; Agnes Bernauer) zu berücksichtigen.
Literaturauswahl:
Evers, Ingrid M.H., Maaslandse heksenprocessen. Honderd jaar Limburgse regionale geschiedschrijving.in: Volkskundig Bulletin - Tijdschrift voor Cultuurwetenschap, Nummer 12:2 (777-106) Kwade mensen. Toverij in Nederland (red. Willem de Blécourt & Marijke Gijswijt-Hofstra).
His, Rudolf, Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina, Darmstadt 1967
Hoeffler, Heinrich, Entwicklung der kommunalen Verfassung und Verwaltung der Stadt Aachen bis zum Jahr 1450, Diss. der Universität zu Marburg , Marburg 1901
Graf, Klaus, Liste von Internetseiten zur Hexenthematik: http://www.histsem.uni-freiburg.de/mertens/graf/hexen.htm
Hammes, Manfred, Hexenwahn und Hexenprozesse, Frankfurt a/M 1977
Kottmann, Dietmar, Überlegungen zu etwaigen rechts- und medizingeschichtlichen Berührungspunkten zwischen dem Leprosenfriedhof Aachen-Melaten und dem nahen Aachener Hochgericht, Groß, Dominik / Karenberg, Axel (Hrsg.), Medizingeschichte im Rheinland - Beiträge des "Rheinischen Kreises der Medizinhistoriker", Mit Beiträgen von Böber, Antje / Breuer, Manfred / Brömer, Rainer / Forsbach, Ralf / Groß, Dominik, Gün, Ilknur / Gün, Mesut, Kassel 2008
Kaufmann, Arthur / Radbruch, Gustav, Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, Stuttgart 1975
König, Emil, Ausgeburten des Menschenwahns im Spiegel der Hexenprozesse und der Auto da fé´s Berlin 1930
Leder, Karl Bruno, Todesstrafe - Ursprung, Geschichte, Opfer, Wien-München 1980
Loersch, Hugo, Aachener Rechtsdenkmäler, Bonn 1871
Malangré, Heinz, Die Strafen der Aachener Gerichte in der reichsstädtischen Zeit, Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Rechte der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität zu Bonn, [etwa 1956]
Meyer, Karl Franz, Aachensche Geschichten, Aachen 1781
Moser, Johann Jakob, Staats-Recht des Heil.Röm. Reichsstatt Aachen, Leipzig 1740
N.N., Hexengeschichte aus Aachen
Noppius, Johannes, Aacher Chronick, 3. Aufl. 1774
Oppenhoff, Joseph, Die Aachener Gerichte, Huyskens, Albert (Hrsg.), Aachener Heimatgeschichte, Aachen 1924
Oppenhoff, Karl, Die Strafrechtspflege des Schöffenstuhls zu Aachen, ZAGV VI, 1
Pauls, Emil, Teufelssagen, Zauberwesen und Hexenwahn in Aachen. AAV Bd. 16 (1903), S. 99, insb. S. 115 ff
Quix, Christian, Historisch-topographische Beschreibung der Stadt Aachen, Köln und Aachen 1829
Scheller, Eva, Das verdrängte Entsetzen- zur Aktualität einer 400 Jahre alten Streitschrift wider den Hexenwahn in der Folterdebatte, NJW 2009, S. 705 - 712
Schild, Wolfgang, Von peinlicher Frag - Die Folter als rechtliches Beweisverfahren, Schriftenreihe des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg Nr. 4,
Schormann, Gerhard, Hexenprozesse in Deutschland, Göttingen 1981
Schwabe, Walter, Der Aachener Oberhof, ZAGV IIIL, S. 83, IIL, S.61
Hans Siemons, Hexenwahn im Grenzland Aachen (Hexen und Henker an Rur, Wurm und Pau), Aachen 1997
Soldan-Heppe, Bauer, Max (Neubearbtg.), Geschichte der Hexenprozesse, 2 Bd., 3. Aufl., Hanau o.J.
Stadtarchiv Aachen, Bericht über die Verwaltung des Archivs der Stadt Aachen im Jahre 1886, Aachen 1887
Tschacher, Werner, Der Formicarius des Johannes Nider von 1437/38. Studien zu den Anfängen der europäischen Hexenverfolgungen im Spätmittelalter, Aachen: Shaker Verlag 2000 [phil. Diss. RWTH Aachen 1997].
Heinrich Kramer (Institoris), Der Hexenhammer. Malleus Maleficarum. Neu aus dem Lateinischen übertragen von Wolfgang Behringer, Günter Jerouschek und Werner Tschacher. Herausgegeben und eingeleitet von Günter Jerouschek und Wolfgang Behringer, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 8. Aufl. 2010 (dtv 30780); auf CD-Rom: Hexen. Analysen, Bilder, Dokumente, Berlin 2. Aufl. 2004 (Digitale Bibliothek 93).
Wirtz, Herrmann, Die städtische Gerichtsbarkeit in der Reichsstadt Aachen, ZAGV XLIII, S. 47