Entscheidungsvorlage - FB 02/0061/WP16

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag

Beschlussvorschlag:

Der Rat der Stadt Aachen beauftragt die Verwaltung, eine offizielle Kooperationsvereinbarung mit Sariyer zu erarbeiten. Dabei soll vor allem die Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur, Bildung, Soziales und Integration sowie Wirtschaft und Wissenschaft intensiviert, sowie neue Zusammenarbeit in den Bereichen Demokratieprozess, Energieeffizienz und Katastrophenmanagement aufgebaut werden.

 

Damit die Beziehungen zwischen Aachen und Sariyer weiter wachsen, sollen die Prozesse der Zusammenarbeit eng von der Verwaltung begleitet werden. Daraus kann sich zukünftig eine Städtepartnerschaft entwickeln.

 

In den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft sollen die beschriebenen Kooperationen mit Bursa realisiert werden.

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Erläuterungen

Zusammenarbeit mit türkischen Städten

 

Ausgangssituation

Deutschland und die Türkei verbinden außerordentlich vielfältige und intensive Beziehungen, die Jahrhunderte zurückreichen. Sie werden heute wesentlich bestimmt durch circa 3 Millionen in Deutschland lebende Menschen mit türkischer Abstammung und enge politische, kulturelle sowie wirtschaftliche Beziehungen.

 

Die in Deutschland lebenden Menschen türkischer Herkunft, von denen knapp die Hälfte die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, sind ein bedeutender Faktor in den bilateralen Beziehungen. Hinzu kommt die starke Anziehungskraft der Türkei als Reise- und Urlaubsland (2010 über 4,5 Millionen Besucher aus Deutschland). Beide Faktoren tragen wesentlich zu dem Bild bei, das Deutsche und Türken voneinander haben. Deutschland genießt in der Türkei ein traditionell hohes Ansehen. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind freundschaftlich, vielschichtig und belastbar.

 

Die Türkei zählt zu den Staaten mit dem größten Wirtschaftswachstum weltweit – dies mittlerweile kontinuierlich seit vielen Jahren. Der wichtigste Handelspartner der Türkei und der größte Lieferant von Industrie- und Investitionsgütern ist Deutschland. Aus keinem anderen Land kommt eine größere Zahl von Investoren. Das bilaterale Handelsvolumen erreichte 2010 rund 29 Mrd. US$. Waren im Wert von 17,5 Mrd. US$ exportierte Deutschland in die Türkei. Aus der Türkei kamen Güter für 11,5 Mrd. US$. Die meisten Unternehmen mit deutscher Beteiligung befinden sich in Istanbul und rund um das Marmara-Meer. Im Jahr 2010 waren in der Türkei 4.315 Firmen mit deutscher Kapitalbeteiligung registriert. Auch türkische Firmen investieren in Deutschland. Auf der Liste der deutschen Ausfuhren an die Türkei führen Maschinen und Anlagen, gefolgt von Automobilen und chemischen Erzeugnissen. Immer enger wird die Verflechtung innerhalb einzelner Branchen wie z.B. in der Kfz-Industrie. Viele Teile für die lokale Fertigung von Automobilen in der Türkei werden aus Deutschland zugeliefert. Auch Nahrungsmittel sind an prominenter Stelle vertreten (Lieferanten aus Aachen sind z.B. Zentis GmbH & Co. KG, Lindt & Sprüngli GmbH).

 

Von stark wachsender Bedeutung sind für beide Seiten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben. Türkische Hochschulen und Unternehmen suchen Unterstützung bei der Generierung von Innovationen für den asiatischen und arabischen Markt nach. Lukrative Forschungsaufträge warten auf Abnehmer – oftmals finanziell unterstützt von der EU. Gerade die Campusentwicklung in Aachen stößt in der Türkei wegen der Verknüpfung von Wissenschaft, Technologie und Wirtschaft auf besonderes Interesse. Türkische Engagements und Investments in Aachen sind daher nicht ausgeschlossen. Darüber hinaus drängen in der Türkei, einem Staat mit einem besonders niedrigen Altersdurchschnitt, zunehmend junge Menschen in ein Studium. Bei der Bewältigung und Organisation erhofft man sich Hilfe von erfahrenen Hochschulstandorten. In der Türkei existiert zudem eines der größten Alumni-Netzwerke der RWTH weltweit – ein idealer Anknüpfungspunkt für hochschulgetriebene Kooperationen.

 

Menschen mit türkischer Herkunft stellen die größte Migrantengruppe – in Deutschland wie in Aachen. Viele der Türkischstämmigen wünschen sich eine konkretere Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. Kooperationsbeziehungen bauen damit auf einer belastbaren Grundlage auf und setzen Zeichen gerade auch für die hier lebenden Türken. Verschiedene deutsche Städte stellen mittlerweile ganz bewusst auch darauf ab, bei der Integrationsarbeit mit ihren türkischen Partnerstädten zusammenzuarbeiten. Soziale und kulturelle Kooperationen erhalten damit eine neue Dimension und erleichtern das Zusammenleben beider Nationalitäten in Deutschland. Und im umgekehrten Fall kann ein Engagement in der Türkei zur Sicherung der demokratischen Strukturen vor Ort beitragen.

 

Eine große Anzahl deutscher Städte hat mittlerweile bilaterale Beziehungen zu türkischen Kommunen aufgebaut. Auch für Aachen wäre die Zusammenarbeit mit türkischen Städten im sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bereich vorteilhaft und wegweisend.

 

Runder Tisch „Türkei“

Mit dieser Motivation und auf Basis verschiedener Anfragen aus der Türkei mit Interessensbekundungen für Kooperationen bzw. Städtepartnerschaften wurde im Mai 2010 ein Runder Tisch „Türkei“ beim Oberbürgermeister einberufen. Ziel des Runden Tisches war die Klärung der Fragen, ob, mit welchen türkischen Städten und in welcher Form Aachen Kooperationsbeziehungen aufbauen sollte. Mit Blick auf die o.g. Aspekte herrschte zwischen den lokalen Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und den Ratsfraktionen die gemeinsame Auffassung, dass Aachen in einen Austausch mit türkischen Kommunen eintreten sollte.

 

Interessenbekundungen lagen aus Istanbul-Sariyer, Bursa, Izmir und Gaziantep vor. Des Weiteren wurden die türkischen Städte Mugla und Eskisehir von lokalen Akteuren als Alternativen für eine Städtekooperation vorgeschlagen. Im Ergebnis stellten die Akteure des Runden Tisches schließlich fest, dass gegenseitige, langjährige und tragfähige wirtschaftliche, wissenschaftliche sowie sozio-kulurelle Kontakte insbesondere zu den Städten Istanbul-Sariyer und Bursa bestehen, die durch die gezielte Mitwirkung und Unterstützung kommunaler Organisationen noch ausgeweitet werden können.

Somit lag der Fokus beim zweiten „Runden Tisch Türkei“ im Mai 2011 (unter der Teilnahme

einer noch größeren Anzahl von Interessenten) auf den beiden Städten Istanbul-Sariyer und Bursa. Innerhalb dieser Sitzung wurden die Vorzüge und Gemeinsamkeiten beider Städte in Verbindung zu Aachen eingehend besprochen und eine Reiseplanung in die Städte Istanbul-Sariyer und Bursa für den Zeitraum von 22. - 26.Juli 2011 vorgeschlagen.

 

Istanbul-Sariyer

Sariyer ist ein Landkreis der türkischen Provinz Istanbul sowie ein nördlicher Stadtteil auf der europäischen Seite von Istanbul am Bosporus und dem Schwarzen Meer mit rund 280.000 Einwohnern (2010). In Sariyer sind die beiden größten türkischen Holdinggesellschaften (Koc und Sabanci) sowie die sechs Elite-Universitäten der Türkei (u. a. die Bosporus-, Istanbul Technik-, und Koc-Universität) ansässig. Vorherrschende Wirtschaftszweige sind der Tourismus und das Fischereiwesen. Gleichzeitig fungiert Sariyer allerdings als Brückenkopf in die dynamische Wirtschaftsmetropole Istanbul als auch in die gesamte Türkei hinein. Die Beziehungen zu Aachen reichen mehrere Jahre zurück, immer wieder aufgefrischt durch Besuche des Bürgermeisters, Herrn Sükrü Genc., in Aachen. Ebenso pflegen die Aachener Hochschulen RWTH und FH ihre langjährigen Kontakte in Form des ERASMUS Studierendenaustauschs und des allgemeinen Personenaustauschsu. a. mit der Bosporus- und der internationalen Istanbul Technik Universität (ITÜ) in Sariyer. Nachhaltige Kontakte zu  Sariyer werden durch eine große deutsch-türkische Interessensgruppe aus Aachen aktiv aufrecht erhalten. So werden neben Delegationsreisen auch eigenständige Schüleraustauschprogramme angeboten und durchgeführt.

 

Im Rahmen der Besuchsreise im Juli dieses Jahres konnte sich schließlich die Aachener Delegation von der Leistungsstärke, der Gastfreundschaft und dem intensiven Kooperationsinteresse Sariyers vor Ort überzeugen. Aufgrund der besonderen Merkmale von Sariyer (vergleichbare Einwohnerzahl wie Aachen, Standort wichtiger Universitäten, gute Erreichbarkeit und Anbindung an das Zentrum von Istanbul, gute Voraussetzungen für Austauschprogramme von Schülern, Studenten und Kulturreisenden, gute Anbindung an das deutsche Generalkonsulat, attraktive Lage am Bosporus, möglicher dauerhafter Knotenpunkt im Alumni-Netzwerk und bereits bestehende Kontakte zu Aachener Vereinen) bietet sich tatsächlich eine intensive Zusammenarbeit an. Die Stadtverwaltung Istanbul-Sariyer äußerte zudem den Wunsch, mit Aachen Projekte in den Bereichen Kultur, Bildung, Soziales und Integration zu entwickeln, als auch eine Zusammenarbeit in den Themenfeldern Demokratieprozess, Energieeffizienz und Katastrophenmanagement aufzubauen. Nicht zuletzt konnten bei dem Besuch Ansatzpunkte für ein beiderseitiges Interesse und evtl. gemeinsame Aktivitäten im Reitsport ausgemacht werden. Anfang Dezember 2011 wurde die türkische Niederlassung der Aachener FEV GmbH in Sariyer eröffnet.

 

Bursa

Bursa ist mit rund 2 Mio. Einwohnern (2010) die viertgrößte Stadt der Türkei und Hauptstadt der Provinz Bursa in der Westtürkei. Die Stadt liegt 90 Kilometer südlich von Istanbul am Uludag-Gebirge. Ringsum findet sich eine sehr grüne Landschaft mit heilkräftigen Schwefelquellen. Bei Bursa liegt das bekannteste Skigebiet der Türkei, Bursa ist damit gleichfalls Wintersportzentrum. Als bedeutender Industriestandort der Türkei zählen zu den wichtigsten Branchen die Automobilindustrie, die Maschinenbau- und Metallverarbeitende Industrie, das Baugewerbe sowie die Textil-  und Lebensmittelindustrie. Wissenschaftliche Kooperationen bestehen zwischen der dort ansässigen Uludag Universität und der FH Aachen. Derzeit befindet sich eine technische Hochschule im Aufbau.

Eine große Interessensgruppe aus Aachen pflegt ihre Kontakte zu den Industriellen und dem größten Unternehmerverband BUGIAD in Bursa. Nach einer Einladung des Oberbürgermeisters Herrn Recep Altepe im Juni 2010 und einer Interessensbekundung für eine Wirtschaftskooperation des Unternehmerverbandes BUGIAD im November 2010, besuchte die Aachener Delegation die Stadt Bursa ebenfalls im Juli dieses Jahres. Auch hier hinterließen die Gespräche mit der Provinzregierung, der Stadtverwaltung, der IHK, der Hochschule und dem Unternehmerverband einen nachhaltigen Eindruck von der wirtschaftlichen Dynamik und dem rasanten städtischen Wachstum Bursas (Zuwachs von rd. 60.000 Einwohnern p.a.). Obschon Bursa seit den 1970er Jahren eine enge Städtepartnerschaft mit Darmstadt und mittlerweile die gleichnamige Provinz eine Kooperation mit Hessen pflegt, wurde das Interesse an Beziehungen zu Aachen untermauert. Ausdrücklicher Dank gilt auch hier für die besondere Gastfreundschaft, die die Aachener Delegation genießen durfte. Der Besuch führte bei den Beteiligten zu der Feststellung, dass eine Kooperation zwischen Aachen und Bursa für die Aachener Wirtschaft neue Expansionsmöglichkeiten bietet. Insbesondere kann dies von der deckungsgleichen wirtschaftlichen Branchenstruktur und den bestehenden Hochschulkooperationen abgeleitet werden.

Bereits zwei Monate nach der Türkeireise, im September 2011, besuchten Firmenvertreter aus Bursa die RWTH Aachen, das Fraunhofer-Institut für Lasertechnik und Unternehmen in Aachen für weitergehende Kooperationsabsprachen und den Einkauf von neuster Technologie aus Aachen. Die Uludag-Universität und ca. zehn weitere Unternehmen aus Bursa haben zwischenzeitlich Kontakt zu Aachen gesucht. Systematische Kooperationen mit den politischen, industriellen und akademischen Partnern in der Stadt Bursa als einer der rasant wachsenden Industrie- bzw. Technologiemärkte in der Türkei, bieten daher Aachener Unternehmen und Hochschulen Zugang zu einem neuen und attraktiven Absatzmarkt.

 

Fazit

Aufgrund der Vielschichtigkeit der dargestellten potenziellen Handlungsfelder und dem bereits von vielen Personen auf türkischer und deutscher Seite getragenen Austausch empfiehlt sich, die Zusammenarbeit zwischen Aachen und Sariyer zu einer offiziellen Städtepartnerschaft auszubauen. Eine Kooperation mit Bursa entwickelt ihre ganze Stärke im Fokus der Themenfelder Wissenschaft und Wirtschaft. Deswegen sollten gerade hier gemeinsame Aktivitäten unterstützt werden. Die IHK, die AGIT und die städtische Wirtschaftsförderung stehen hierzu bereit. Eine Konzentration des Zusammenwirkens auf dieser Ebene hilft zudem, Konkurrenzen zur offiziellen Städtepartnerschaft zwischen Bursa und Darmstadt zu vermeiden.

 

Der Ausschuss für Arbeit, Wirtschaft und Wissenschaft hat sich in seiner Sitzung am 23.11.2011 mit dem Sachverhalt beschäftigt und auf Antrag der Fraktionen von CDU, SPD und GRÜNE folgenden

- gegenüber der ursprünglichen Vorlage geänderten - Empfehlungsbeschluss gefasst:

Der Ausschuss für Arbeit, Wirtschaft und Wissenschaft nimmt die Ausführungen der Verwaltung zur Kenntnis und empfiehlt dem Rat der Stadt Aachen, die Verwaltung zu beauftragen, eine offizielle Kooperationsvereinbarung mit Sariyer zu erarbeiten. Dabei soll vor allem die Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur, Bildung, Soziales und Integration sowie Wirtschaft und Wissenschaft intensiviert, sowie neue Zusammenarbeit in den Bereichen Demokratieprozess, Energieeffizienz und Katastrophenmanagement aufgebaut werden.

Damit die Beziehungen zwischen Aachen und Sariyer weiter wachsen, sollen die Prozesse der Zusammenarbeit eng von der Verwaltung begleitet werden. Daraus kann sich zukünftig eine Städtepartnerschaft entwickeln.

In den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft sollen die beschriebenen Kooperationen mit Bursa realisiert werden.

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