Entscheidungsvorlage - E 49.5/0178/WP17
Grunddaten
- Betreff:
-
Brasilianische Sammlungsobjekte - Sammlung PavelAusstellung in der der Nadelfabrik; Permanent-Ausstellung von „Indigenen Objekten“Tagesordnungsantrag der Fraktionen CDU und SPD vom 23.01.2020
- Status:
- öffentlich (Vorlage für Öffentlichkeit freigegeben)
- Vorlageart:
- Entscheidungsvorlage
- Federführend:
- Kulturservice
- Verfasst von:
- E 49
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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●
Erledigt
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Betriebsausschuss Kultur
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Entscheidung
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06.02.2020
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Beschlussvorschlag
Beschlussvorschlag:
Der Betriebsausschuss Kultur empfiehlt dem Antragsteller die Kontaktaufnahme mit Experten für dieses Sammlungsgut z.B. im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln zwecks Anfertigung einer Expertise zur Beantwortung aller relevanten Fragen rund um eine mögliche „INTERNATIONALE PERMANENT AUSSTELLUNG“ mit „ca. 300 Objekten verschiedener Stämme der Amazonas Region“. Vor einer weiteren Befassung des Betriebsausschusses Kultur sollten sämtliche Aspekte bzgl. der Provenienz und des Umgangs mit diesem Sammlungsgut wissenschaftlich geklärt werden.
Erläuterungen
Erläuterungen:
Der Verein NEKREI e.V. (gegründet von der Firma Rheinnadel und der Familie Pavel) beabsichtigt in den von der Stadt Aachen angemieteten Büroräumen in der Nadelfabrik, Reichsweg 30, auf ca. 450 qm eine „INTERNATIONALE PERMANENT AUSSTELLUNG“ von „Indigenen Objekten der Bewohner des Amazonas Gebietes“ zu präsentieren. Nach eigener Aussage des Vereins „[…] umfasst [die Austellung] ca. 300 Objekte verschiedener Stämme des Amazonas Gebiets.“
Zudem soll „u.a. auch auf die derzeitigen Umweltprobleme im Zusammenhang mit der prekären Situation der Abholzung des Amazonas Regenwaldes“ hingewiesen werden. Laut Aussage des Vereins „wird der WWF sich an dieser Ausstellung beteiligen, um ebenfalls auf die Bedeutung des Amazonas Regenwaldes aufmerksam[en] zu machen.“
Der Verein schätzt die Investitionen für den Umbau auf ca. 250 T Euro. Diese Mittel sowie die erforderlichen Mittel für den laufenden Unterhalt würde der Verein tragen.
Mit Blick auf die vom Verein erwartete internationale Aufmerksamkeit und die aufzubringenden Finanzen, stellt der Verein an die Stadt die Anfrage, die Räume mietfrei überlassen zu bekommen (ca. 28.000 Euro p.a.). Die Nadelfabrik liegt in der Zuständigkeit des Dezernats VI, dort ist dieser Mietzins im Wirtschaftsplan für die Nadelfabrik ein wesentlicher Faktor für das ausgeglichene Budget.
Bewertung
„Seit den 1990er Jahren melden sich weltweit die von den Auswirkungen des Kolonialismus Betroffenen und seine Opfer verstärkt zu Wort. Im Jahr 2007 verabschiedete die UNO die Erklärung über die Rechte der indigenen Völker.“ Aus: Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, Deutscher Museumsbund 2018.
Der Hinweis des Antragstellers auf den Verlust vergleichbarer Objekte durch die Brandkatastrophe des Nationalmuseums in Rio de Janeiro vom 2. September 2018 ersetzt nicht die Fragen zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen und/oder indigenen Kontexten der in Aachen vorhandenen Objekte. Brasilien war von 1500-1822 eine Kolonie der Kolonialmacht Portugal und das Gebiet zwischen Rio de Janeiro und Cabo Frio von 1555-1567 eine Kolonie der Kolonialmacht Frankreich.
Die Rückgabe von Kolonialkunst sowie der Umgang mit Kunsthandwerk indigener Provenienz ist ein zentrales Thema in der europäischen Museumslandschaft seit der Ankündigung von Präsident Emmanuel Macron im Jahre 2017, dass Frankreich seine Kolonialkunst aus Afrika möglicherweise vollständig zurückgeben wird. Dieser Aufgabe stellen sich die Verantwortlichen des Humboldt Forums in Berlin sowie zahlreicher Museen mit ethnologischen Sammlungen und Sammlungsbeständen wie z.B. das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln.
Bereits aus Deutschland (z.B. Dresden: Völkerkundemuseum) getätigte Rückgaben sowie die große Zahl der Veröffentlichungen und Diskussionen zu dem Thema belegen, dass in den Museen, den Kulturverwaltungen, den Kulturministerien und insbesondere bei der Staatsministerin des Bundes für Kultur und Medien sowie der Staatsministerin im Auswärtigen Amt für internationale Kulturpolitik eine hohe Sensibilität für diese Thematik gegeben ist.
Da diese besondere Sammlung, abgesehen von den Verdiensten des Sammlers und seinem ausgezeichneten Engagement für Stadt und Region, keinen Bezug zur Stadt Aachen hat und auch keinen Sammlungsschwerpunkt der Aachener Museen darstellt, fällt es schwer, hier einen neuen musealen Akzent für Aachen, gefördert von der Stadt, zu erkennen.
Nicht zu unterschätzen ist die kommunikative und mediale Problematik, wenn all die Fragen nach Herkunft, Erwerb, Verbleib, Präsentation, Vermittlung, Rückführung, wissenschaftlicher Bearbeitung außer Acht gelassen würden. Hinter all diesen Aspekten stehen weitere Fragen zum Umgang mit dieser Sammlung „der verschiedenen indigenen Stämme der Amazonas Region“.
Im Katalog zur Ausstellung „Nekrei. Federkunst der Indianer Brasiliens. Die Sammlung Rheinnadel“, Ludwig Forum, Aachen, 1998, Idee Konsul Klaus Pavel, Autor Luiz Boglár, wurde die Problematik angedeutet:
„Außerdem ‚stellt die systematische Enteignung des kulturellen Erbes der nicht-europäischen Völker den Raub ihrer Erbschaft dar‘, Foot Hardman bezeichnet dies als Beute der Eroberer, die die Unersättlichkeit des westlichen Hegemoniestrebens enthüllt.“
Lúcia Hussak van Velthem, S.59, Beitrag: „Einheimische Kunst. Soziale und kosmologische Referenzen.“
Beispielhafte Fragestellungen zur Beantwortung durch wissenschaftliche Expertise:
- Stammen die Objekte aus einer formalen Kolonialherrschaft?
- Hatten die Objekte beim Erwerb einen Bezug zur formalen Kolonialherrschaft?
- Hat dies rechtliche Auswirkungen auf den Erwerb?
- Lässt sich die Provenienz lückenlos klären?
- Woher stammt das Objekt?
- Wer hat das Objekt hergestellt?
- Unter welchen Bedingungen lebt die Herkunftsgesellschaft, aus der das Objekt stammt, zum Zeitpunkt der Herstellung, des Erwerbs oder der Ausfuhr des Objekts?
- Für welchen Zweck wurde das Objekt hergestellt?
- Unter welchen Umständen wechselte das Objekt seine Besitzer?
- Welche nationalen Regelungen kommen beim Sammlungserwerb von Objekten aus formalen Kolonialherrschaften zum Tragen?
- Welche ethischen Aspekte sollten für eine angemessene Aufbewahrung von Objekten aus Kolonialherrschaft und/oder indigenen Zusammenhängen beachtet werden?
- Wie sollte der Zugang zu den Beständen geregelt sein?
- Welche Akteure und Ereignisse sollten in Bezug auf den Erwerb von Objekten aus formalen Kolonialherrschaften oder von indigenen Völkern kritisch hinterfragt werden? (z.B. Händler, Kolonialbeamte, Kolonialhandel, Militärs, Missionare, Reedereien und Handelskompanien, Siedler)
- Welche Möglichkeiten einer sammlungsbezogenen Zusammenarbeit mit dem Herkunftsland/der Herkunftsgesellschaft können in Betracht kommen?
- Ist eine Genehmigung der Herkunftsgesellschaft für die Ausstellung der Objekte formal oder ethisch geboten?
- Wie können die „indigenen Objekte“ kontextualisiert werden?
- Darf man Objekte ausstellen, deren Erwerbsumstände nicht bekannt sind, deren Datierung und Herkunft aber einen Bezug zu einer formalen Kolonialherrschaft annehmen lässt?
- Wie sollte über die Objekte öffentlich kommuniziert werden?
- Ist eine Rückgabe angezeigt?
- Wann kann eine Rückgabe von Objekte angezeigt sein?
Diesen Aspekten wird von der Fachverwaltung eine hohe Priorität eingeräumt. Eine öffentliche Unterstützung und ein öffentliches Interesse setzen aus Sicht der Fachverwaltung eine intensive Auseinandersetzung voraus.
Exemplarisch für die benutzte Literatur:
- Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten
Herausgeber: Deutscher Museumsbund e. V., Berlin 2018
- Erste Eckpunkte zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten der Staatsministerin des Bundes für Kultur und Medien, der Staatsministerin im Auswärtigen Amt für internationale Kulturpolitik, der Kulturministerinnen und Kulturminister der Länder und der kommunalen Spitzenverbände, Stand: 13.03.2019
Debatte über Kolonialkunst im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln:
- https://www1.wdr.de/fernsehen/west-art/sendungen/rautenstrauch-joest-museum-104.html
- https://www.dw.com/de/wie-ein-k%C3%B6lner-museum-das-koloniale-erbe-aufarbeitet/a-50518709
Anlagen
Nr. | Name | Original | Status | Größe | |
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(wie Dokument)
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2,2 MB
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(wie Dokument)
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296,3 kB
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