Entscheidungsvorlage - FB 61/0233/WP18
Grunddaten
- Betreff:
-
Barrierefreiheit im ÖPNV: Sachstandsbericht
- Status:
- öffentlich (Vorlage für Öffentlichkeit freigegeben)
- Vorlageart:
- Entscheidungsvorlage
- Federführend:
- FB 61 - Fachbereich Stadtentwicklung und Stadtplanung
- Verfasst von:
- Dez. III / FB 61/300
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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●
Erledigt
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Mobilitätsausschuss
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Entscheidung
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30.09.2021
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Erläuterungen
Erläuterungen:
Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) mit der Novelle aus dem Jahr 2013 enthält weitreichende Regelungen zur Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Gemäß § 8 Abs. 3 S. 3 PBefG hat der Nahverkehrsplan die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Diese Frist gilt nicht, sofern in dem Nahverkehrsplan Ausnahmen konkret benannt und begründet werden (§ 8 Abs. 3 S. 4 PBefG).
Seitdem arbeitet die Verwaltung kontinuierlich an der Herstellung der Barrierefreiheit im ÖPNV. Die Vorlage gibt einen Überblick über die bisher geleisteten Arbeiten und anstehende Aufgaben.
Grundsätzlich muss darauf hingewiesen werden, dass der Gesetzgeber mit der Umsetzung einer vollständigen Barrierefreiheit im ÖPNV bis 2022 eine sehr ambitionierte Zielmarke gesetzt hat, die die Kommunen in der gesamten Bundesrepublik vor kaum zu lösende Aufgaben gestellt hat und nach wie vor tut. Der Maßnahmenumfang ist enorm, Umbauten jeweils im einzelnen Detail zu planen. Häufig ist aufgrund von örtlichen Gegebenheiten, verschiedenen Nutzungsansprüchen und daraus resultierten Zielkonflikten selbst bei Neuanlagen die vollständige barrierefreie Nutzbarkeit kaum herzustellen.
Barrierefreiheit im ÖPNV
Der Begriff der „vollständigen Barrierefreiheit“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und wurde bisher weder vom Gesetzgeber selbst, noch durch Rechtsprechung konkretisiert. Deutschland- oder landeseinheitliche Standards gibt es bis heute nicht.
In der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichten sich die Vertragsstaaten nach den Prinzipien Selbstbestimmung, Teilhabe und Inklusion gesellschaftliche Bedingungen zu schaffen, die niemanden ausschließen und die Bedürfnisse von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen berücksichtigen. Die Definition im Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes (§ 4 BGG) bietet eine gute Basis:
„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig.“
Grundprinzipien einer vollständig barrierefreien Nutzbarkeit des ÖPNV sind Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Bewegungsmöglichkeit. Daraus können funktionale Grundanforderungen wie das Zwei-Sinne-Prinzip und die Stufenlosigkeit abgeleitet werden, die bei der Planung und Umsetzung barrierefreier Maßnahmen berücksichtigt werden müssen. Maßgebliche technische Regelwerke für das Thema Barrierefreiheit sind in erster Linie verschiedene DIN-Normen sowie Richtlinien und Empfehlungen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV).
Wesentliche Gestaltungsaspekte eines barrierefrei nutzbaren ÖPNV betreffen:
- die Haltestelleninfrastruktur,
- die Gestaltung und Ausstattung der Fahrzeuge,
- die Kommunikation und Information sowie
- den Betrieb und die Unterhaltung der Anlagen.
Nur bei einer Berücksichtigung aller dieser Bereiche ist die Barrierefreiheit im ÖPNV sicher gestellt.
Nahverkehrsplan
Nach dem PBefG kommt dem Nahverkehrsplan eine zentrale Rolle zu. Die Stadt Aachen als Aufgabenträger für den straßengebundenen ÖPNV im Stadtgebiet stellt einen eigenen Nahverkehrsplan (NVP) auf. Die Zuständigkeit ist im ÖPNVG NRW definiert:
"Die Planung, Organisation und Ausgestaltung des ÖPNV ist eine Aufgabe der Kreise und kreisfreien Städte, sowie - mit Ausnahme des SPNV - von mittleren und großen kreisangehörigen Städten, die ein eigenes ÖPNV-Unternehmen betreiben oder an einem solchen wesentlich beteiligt sind“ (§ 3).
"Die Kreise, kreisfreien Städte und Zweckverbände stellen zur Sicherung und zur Verbesserung des ÖPNV jeweils einen Nahverkehrsplan auf“ (§ 8).
Die Aufstellung eines Nahverkehrsplans erfolgt durch Beschluss des Aufgabenträgers. Der aktuelle Nahverkehrsplan der Stadt Aachen ist die „ 2. Fortschreibung 2015“ und wurde im August 2015 vom Rat der Stadt Aachen verabschiedet.
Im aktuellen Nahverkehrsplan der Stadt Aachen wird die Thematik Barrierefreiheit umfassend behandelt: Es wird der gesetzliche Rahmen beschrieben und Qualitätsstandards definiert. Darauf aufbauend schließt sich eine Schwachstellenanalyse an, aus der Handlungsempfehlungen für das Zielkonzept abgeleitet werden.
Die Inhalte wurden im Rahmen der vorgeschriebenen Beteiligung von Vorhabenträgern und Interessenverbänden mit der Kommission Barrierefreies Bauen erörtert. Die Anforderungen und Wünsche wurden aufgenommen, diskutiert, geprüft und abgewogen. Das Ergebnis der Abwägung fand Eingang in den Nahverkehrsplan im Jahr 2015.
Bisher ist nicht rechtlich geklärt, wie Abweichungen von der Zielsetzung der vollständigen Barrierefreiheit bis zum 01.01.2022 zu behandeln sind. Die Stadtverwaltung steht dazu im Austausch mit anderen Institutionen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft ÖPNV der Kommunalen Spitzenverbände leitet auf der einen Seite aus dem PBefG § 8 ab, dass die Aufgabenträger im ÖPNV die Pflicht haben, sich mit dem Gesetz wie oben beschrieben zu befassen, Nahverkehrspläne jedoch keinen verbindlichen Rechtscharakter haben. Diese Ansicht wird nach einer Umfrage bei den anderen Aufgabenträgern im NVR geteilt.
Das Rechtsamt der Stadt Aachen weist hingegen darauf hin, dass die Frage der Rechtsnatur von Nahverkehrsplänen bislang nicht rechtlich geklärt ist. Die Frage, wie ein Nahverkehrsplan rechtssicher ausgestaltet werden kann, ist daher nicht abschließend behandelt.
Sachstand beim Ausbau barrierefreier Haltestellen
Insgesamt gibt es 438 Bushaltestellen mit 977 Haltestellenkanten / richtungsbezogenen Haltestellenpositionen in Aachen (Stand Juli 2021). Davon sind 12 % vollständig barrierefrei (116 Haltestellen) ausgebaut. Weitere 14 % sind abgesehen von taktilen Leitelementen barrierefrei (d.h. mit Hochbord und gut berollbarer und rutschfester Befestigung, ausreichend breiter und ebener Zuwegung). Hier ist zu bemerken, dass taktile Leitelemente vor 2013 nicht Bestandteil der Ausbaustandards für Bushaltestellen waren. Eine Aufrüstung der vor 2013 ausgebauten Bushaltestellen wird grundsätzlich angestrebt und erfolgt sukzessive.
In Anlage 1 sind die derzeit ausgebauten Haltestellen aufgelistet.
Der barrierefreie Ausbau von Bushaltestellen wird von der Verwaltung kontinuierlich betrieben. Für die Planung und Umsetzung hat die Stadtverwaltung ein Arbeitsprogramm, basierend auf der Analyse im Nahverkehrsplan und der daraus entwickelten Prioritätenliste, erarbeitet (siehe Anlage 2). Zuständig für den Umbau sind die Bauabteilungen der jeweiligen Straßenbaulastträger.
Generelles Ziel ist es, sämtliche Haltestellen barrierefrei auszubauen, um den Vorgaben des Gesetzes zu entsprechen. Eventuelle Ausnahmen müssen gemäß PBefG konkret im Nahverkehrsplan benannt werden. Diese sind bisher nicht formuliert.
Der Nahverkehrsplan enthält eine umfassende Bestandsaufnahme aller Bushaltestellen im Stadtgebiet. Die Haltestellen wurden nach der Analyse in fünf Dringlichkeitskategorien unterteilt, von 1 (höchster Bedarf) bis 5 (sehr schwach genutzte Haltestelle, ggfs. Rückstellung eines Ausbaus). Basierend auf dieser Kategorisierung und nach Berücksichtigung weiterer Kriterien wie dem baulichen Ausgangszustand, der örtlichen Situation, benachbarten Einrichtungen etc. ist das Ausbauprogramm entstanden. Das Ausbauprogramm dient als Grundlage für die Erstellung von Förderanträgen für den barrierefreien Ausbau.
Neue Entwicklungen können zu einer veränderten Priorisierung von Haltestellen führen. So wird etwa bei Straßenbaumaßnahmen geprüft, ob vorhandene Haltestellen in die Planung einbezogen und umgebaut werden können. Die Priorisierung ist daher dynamisch und wird regelmäßig überprüft.
Ausnahmen können aus verschiedenen Gründen benannt werden, z.B. durch einem unverhältnismäßig hohen Aufwand oder technische Hindernisse. Alternativen sind dabei zu prüfen. Auch die benötigte Zeit für Planungsprozesse, Beschaffung und Bau sowie die Finanzierbarkeit können die Formulierung von Ausnahmen notwendig machen. Zeitliche Ausnahmen stellen keine generellen Ausnahmen dar, sondern unterstützen die Prioritätenaufstellung.
Jährlich stehen Haushaltsmittel für den Bau von Haltestellen auf folgenden PSP-Elementen bereit:
- 5-120102-900-06600-300-1 „Barrierefreie Haltestellen“: 300.000 EUR
- 5-120102-800-00800-300-1 „Verbesserung ÖPNV“: 250.000 EUR
- 5-120102- 800-00400-300-1 „Erneuerung von Haltestellen“: 100.000 EUR
Die beiden erstgenannten Haushaltspositionen sind fördergebunden: ÖPNV-Infrastrukturmaßnahmen werden über das ÖPNVG NRW zu 90 % gefördert. Hierfür werden entsprechende Förderanträge gestellt. Es handelt sich um ein zweistufiges Verfahren (Einplanungs- und Finanzierungsantrag). Die Verwaltung stellt jährlich Einplanungsanträge für ein Maßnahmenbündel von Haltestellen; zuletzt 2020 für 41 und 2021 für 26 Haltestellen.
Der finanzielle Aufwand pro Haltestelle ist sehr unterschiedlich. Während sich die Kosten für die Nachrüstung von taktilen Leitelementen eher im niedrigen vierstelligen Bereich bewegen, können die Umbaukosten für große Haltestellen auch über 100.000 EUR betragen. Das betrifft insbesondere Haltestellen, bei denen eine zusätzliche Signalisierung für die querenden Fahrgäste gewünscht wird. Der finanzielle Rahmen und vor allem die vorhandenen Personalressourcen bestimmen die Ausbaugeschwindigkeit wesentlich.
Das PSP-Element „Erneuerung von Haltestellen“ ist nicht fördermittelgebunden. Daraus werden baulich notwendige Instandsetzungen in Form von Fließbeton in Fahrbahnen von Bushaltestellen finanziert. Die Maßnahmen unterstützen die Barrierefreiheit der Haltestellen, stellen sie aber nicht im eigentlichen Sinne her.
Fahrzeuge, Betrieb, Kommunikation und Information
Für eine vollständig barrierefreie Nutzung des ÖPNV muss die gesamte Reisekette barrierefrei sein. Das beginnt bei der Planung der Reise mit der Einholung von Informationen (z.B. App-Nutzung) und setzt sich mit der Ortsveränderung fort (Zugangsweg, Wartebereich Haltestelle, Einstieg, Aufenthalt im Fahrzeug sowie Ausstieg und Verlassen der Haltestelle). Auch Unterwegsinformationen müssen barrierefrei sein. Besonders die Gestaltung der Schnittstelle „Haltestelle - Fahrzeug“ stellt eine besondere Herausforderung dar. Hierzu tauschen sich die Verwaltung, die ASEAG und die Kommission Barrierefreies Bauen derzeit aus. Am 06.09.2021 wurde bei einem Besuch am Betriebshof der ASEAG Fahrzeuge besichtigt und wichtige Aspekte für die barrierefreie Nutzung und Problempunkte direkt vorgeführt.. Die ASEAG konnte ihrerseits Hintergründe, Zusammenhänge und Praxiserfahrungen kommunizieren.
Auch diese Standards im Nahverkehrsplan sind zu überprüfen um bei vorliegenden Mängeln entsprechende Lösungsvorschläge zu erarbeiten, wie die Mängel behoben werden können.
Weiteres Vorgehen
Der Nahverkehrsplan der Stadt Aachen, insbesondere der Themenbereich Barrierefreiheit, muss zeitnah fortgeschrieben werden, um gänzlich den Anforderungen an die vom Gesetzgeber geforderte vollständige Barrierefreiheit gerecht zu werden. Dabei ist das Ausbauprogramm der Haltestellen fortzuschreiben und die konkreten (zeitlichen) „Ausnahmen“ bei der Herstellung von Barrierefreiheit im ÖPNV zu benennen. Auch die weiteren Aspekte der Barrierefreiheit sind zu überprüfen.
Die Zusammenarbeit mit der Kommission Barrierefreies Bauen ist dabei – sowohl für die Erreichung bestmöglicher Ergebnisse als auch einer effizienten Priorisierung von Maßnahmen wesentlich.
Empfehlung der Verwaltung
Die Verwaltung empfiehlt einen Beschluss zur Teilfortschreibung des Themenbereiches Barrierefreiheit für den Nahverkehrsplan der Stadt Aachen zu fassen. Die Erarbeitung erfolgt in Zusammenarbeit mit der ASEAG und dem AVV. Die Ergebnisse werden mit der Kommission Barrierefreies Bauen und anderen Interessenvertretern diskutiert und abgestimmt.
Auch die StädteRegion Aachen strebt eine Teilfortschreibung des NVP zur Barrierefreiheit an. Die Fortschreibungen sollten aufeinander abgestimmt werden.
Anlagen
Nr. | Name | Original | Status | Größe | |
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(wie Dokument)
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(wie Dokument)
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370,1 kB
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